In Kontrasten verbunden

VW Autostadt & Leben

Die neue deutsche Küche vereint Tradition mit Moderne – und stößt damit auch international auf große Resonanz. Spitzenkoch Sven Elverfeld hat sie im Restaurant Aqua im The Ritz-Carlton, Wolfsburg mit erfunden.

Eine rund zwei Meter lange Platte aus poliertem Stein ist der zentrale Punkt in der Küche des Drei-Sterne-Restaurants Aqua im The Ritz-Carlton, Wolfsburg: An dem sogenannten „Pass“ steht der Chef de Cuisine Sven Elverfeld und verleiht seinen kulinarischen Kreationen, bevor sie raus zu den Gästen gebracht werden, die finale Gestalt. Manchmal richtet er dann Teller an, auf denen Bachforellen aus der Lüneburger Heide eine zentrale Rolle spielen, manchmal beispielsweise auch Altmärker Rehbockrücken oder Saibling mit gerösteten Bucheckernkernen. Niemals aber Hummer, der in vielen anderen Gourmetküchen Standard ist.

„Das benutze ich nicht, das wäre mir etwas zu leicht“, sagt Starkoch Elverfeld. Schließlich gilt das Krustentier für vielen Gästen als besonders edle Zutat – und wäre damit der direkteste Weg, um sie davon zu überzeugen, dass ihnen Spitzenküche aufgetischt wird. Elverfeld aber geht lieber seinen eigenen Weg.

Das preisgekrönte Restaurant Aqua in der Autostadt ist einer der Ursprungsorte einer eigenständigen deutschen Spitzenküche, die in den vergangenen 25 Jahren zunehmend auch international für Aufsehen gesorgt hat. Und statt mit importierten Krustentieren setzt diese „neue deutsche Küche“ genannte Schule lieber Akzente mit Neuinterpretationen beliebter deutscher Klassiker sowie klugen Zutaten von traditionellen Gerichten. So vereint sie vermeintlich Schlichtes mit Raffinesse und Tradition mit Moderne.

Ein Ort für Veränderungen

Sven Elverfeld, ein kreativer Geist, der ständig vor Ideen übersprudelt und der seit der Eröffnung des Aqua im Jahr 2000 für das Menü verantwortlich zeichnet, ist dabei einer der wichtigsten Impulsgeber. Als er einst nach Wolfsburg kam, traute noch kaum jemand der deutschen Küche kulinarische Höhenflüge zu. Doch der damals gerade mal Anfang-30-Jährige erkannte im Rohbau des The Ritz-Carlton, Wolfsburg einen Ort, von dem aus sich die kulinarische Landschaft Deutschlands verändern ließe – vergleichbar mit ähnlichen Bewegungen etwa in den skandinavischen Ländern oder in Peru, wo seit einiger Zeit erfolgreich auf höchstem Niveau nach althergebrachten Techniken und mit lokalen Zutaten gekocht wird.

Elverfelds Ziel im Restaurant Aqua war von Anfang an mindestens ein Michelin-Stern, erzählt er. „Und als der dann da war, habe ich mich gleich am zweiten probiert – und schließlich wollte ich auch den dritten schaffen.“ Mit Erfolg: Seit 2009 wird das Restaurant mit drei Sternen im Guide Michelin geführt.

Das Grundprinzip hinter diesem Erfolg spiegelt der Standort des Restaurants perfekt wider: auf der einen Seite das Heizkraftwerk Nord/Süd, ein mehr als 80 Jahre altes Industriedenkmal, auf der anderen Seite der Neubau des The Ritz-Carlton, Wolfsburg aus der Hand des Architekten Gunter Henn, ein dynamisch-moderner Zweidrittel-Kreis. Klassisches und Modernes in spannenden Kontrasten miteinander verbunden – genau so kocht Elverfeld auch im Restaurant Aqua. „Die Mischung macht es“, sagt er.

Bodenständig und international

Wie ansprechend deutsches Essen sein kann, wenn es frisch zubereitet und handwerklich gut gemacht ist, hat Elverfeld einst bei seiner Mutter gesehen, gerochen und natürlich gekostet. Die kochte im heimischen Hanau jeden Tag für ihn und seinen Bruder, wenn die Jungs von der Schule kamen. „Bodenständig halt“, sagt der Koch mit seinem leichten Anflug von hessischer Aussprache, „das prägt.“ Zugleich verbrachte die Familie auch häufig ihre Urlaube im Ausland, wo immer die jeweilige Landesküche durchprobiert wurde. So landeten – zusammen mit späteren beruflichen Auslandsaufenthalten etwa auf Kreta, in Dubai oder in Japan – zugleich auch vielfältige internationale Geschmacksrichtungen in Elverfelds Kochstil.

Heute überrascht er seine Gäste gern auch mit typisch deutschen Produkten wie Rosenkohl, Räucheraal oder Schwarzwälder Schinken, die er raffiniert einsetzt und kombiniert. Bekannt geworden ist auch seine moderne Interpretation des hessischen Klassikers Tafelspitz, Salzkartoffeln und Frankfurter Grüner Soße. Und noch heute gibt es in jedem Aqua-Menü einen auf Hühner-Ei basierenden Gang – weil es Elverfeld ein Anliegen ist zu zeigen, wie aus dem vermeintlich einfachen Produkt gehobene Gerichte entstehen können. Im Gespräch schwärmt der Sternekoch auch von der Vielfalt an Geschmäckern und Texturen, die eine gute Kartoffel bei unterschiedlicher Zubereitung bieten kann.

Seit Jahren stammen viele solcher Produkte auf der Aqua-Speisenkarte aus deutschen Landen – etwa ein Jagd- und Metzgerbetrieb aus der Region Wolfsburg, der Wildschinken, Rehrücken oder traditionelle Wurstsorten liefert. Von anderen bezieht Elverfeld frische Kräuter, die nur in ihren jeweiligen Saisons in der richtigen Qualität verfügbar sind. Beides zeigt: Ansätze wie Saisonalität und Regionalität, die heute in aller Munde sind, haben schon immer die Basis für Elverfelds Küche im Restaurant Aqua gebildet.

Lobende Worte

Nach 25 Jahren haben mittlerweile mehrere jüngere Generationen von Spitzenköchinnen und -köchen unter der Ägide von Sven Elverfeld dessen Kochschule durchlaufen, sei es Jan Hartwig vom Münchner Restaurant JAN, Mona Schrader vom Jante in Hannover oder Thomas und Mathias Süring vom Restaurant Sühring in Bangkok. Wer die Ehemaligen fragt, hört dankbare Worte über die zugewandte Leitung des Meisters. Sven Elverfeld selbst ist so viel Lob fast unangenehm. Er öffnet lieber auf seinem Handy den Gruppenchat, über den er und ehemalige Mitarbeiter in Kontakt bleiben. „Da stehen schon einige Namen auf der Liste“, sagt er lächelnd. Wolfsburg erweist sich damit als wichtiger Ausgangspunkt einer ganzen Bewegung – denn über seine zahlreichen Zöglinge prägt Elverfelds besonderer Stil inzwischen die Identität der gesamten deutschen Gourmetküche mit.

Zur Person

Sven Elverfeld, geboren 1968 in Hanau, hat zunächst Konditor gelernt, bevor er eine zweite Lehre als Koch absolvierte. Anschließend sammelte er praktische Erfahrungen unter dem Spitzenkoch Dieter Müller sowie unter anderem in Japan, Dubai und Griechenland. Seit der Eröffnung im Jahr 2000 leitet er das Restaurant Aqua im The Ritz-Carlton, Wolfsburg, das bereits 2002 vom Restaurantführer Gault-Millau als „Aufsteiger des Jahres“ ausgezeichnet wurde und seit 2009 ohne Unterbrechung drei Michelin-Sterne hält.