Das Mädchen, das da etwas piepsig in britischem Englisch singt, ist angeblich gerade mal vier Jahre alt – aber Kritiker rühmen trotzdem schon die jambischen Tetrameter in ihrer Musik, ein Versmaß, das bereits unter altgriechischen Lyrikern beliebt war. „Das demonstriert eine Begabung für poetische Konstruktionen, die ihrem Alter weit voraus ist“, schwelgte etwa ein Rezensent der einflussreichen Musik-Webseite Pitchfork über das 2021 erschienene zweite Album des Wunderkinds. Aber nicht nur das: Die Nachwuchsmusikerin umarme vorbildlich ihre Identität, indem sie in nicht weniger als vier Songs das Wälzen in Matschpfützen anpreise – und stets ohne jede Scham grunze. Ungewöhnlich für einen Popstar.
Andererseits: In diesem Fall wohl nicht. Denn Peppa Pig, das hochgelobte Musik-Wunderkind, ist ein weibliches Ferkel – eine Cartoonfigur für Vorschulkinder, derenKopf ein bisschen aussieht wie ein pinkfarbener Fön. Die gleichnamige britische TV-Serie läuft in fast jedem Land der Welt. Dazu kommen Bücher, Videospiele, Merchandise sowie Themenparks in den USA, Großbritannien, China oder Deutschland. Und eben auch zwei Langspielplatten. Popfans nutzen Peppas Musik seit einigen Jahren im Internet für Scherze – von einfachen Memes bis zu elaborierten ironietriefenden Überinterpretationen. Sie feierten etwa Peppas Lied „Expert Daddy Pig“, das von einem sehr großspurigen, aber ungeschickten Vater handelt, als „Porträt toxischer Maskulinität“. Aber Peppa Pig ist mehr – nämlich tatsächlich eine erfolgreiche Musikerin. Ihr erstes Album landete immerhin auf Platz 79 der offiziellen britischen Newcomer-Charts und bekam ostentativ Lob von menschlichen Kollegen wie dem queeren Rapstar Lil Nas X.
Pöbeleien gegen Faschos, Heuchler, Spießer
Sieht man mal davon ab, dass seit 1977 auf den Platten der „Muppet Show“ auch die divenhafte Miss Piggy ihre Lieder schmettert, ist die kleine Peppa Pig vermutlich der erste Star in der Geschichte der Popmusik, der ein Schwein ist. Als Metaphern und Fabelfiguren allerdings sind Schweine, Wutzen und Sauen oder pigs, hogs und boars nichts Neues im Pop: Sie bevölkern die populäre Musik bereits seit deren Geburt, wo auch immer man die ansetzen mag. Und sie tun das auch heute noch, in unterschiedlichen Rollen. So trotten die Tiere im Pop der Moderne manchmal als desorientierte Trottel durch Weltuntergangsszenarien – etwa in der pompösen Powerballade „In The Land Of The Pig, The Butcher Is King“ (2006), die über willenlose Phlegmatiker ätzt, die sich brav zur Schlachtbank führen lassen. Sie stammt, ausgerechnet, von dem wohlbeleibten und kürzlich verstorbenen Heavy-Metal-Sänger, der sich Meat Loaf nannte, also Hackbraten.
Am häufigsten aber ergeben Pigs und Pop Pöbelei – das liebe Vieh muss also für ehrabschneidende Gleichsetzungen mit Mitmenschen herhalten. Manchmal sind die auch ungerecht gegenüber dem intelligenten Tier, etwa bei Lady Gagas Stück „Swine“ (2013), in dem sie ihren Zorn auf einen Musikproduzenten herausschreit, der sie mit neunzehn vergewaltigt habe. Und manchmal sind sie eher harmlos, wie bei den Berliner Funpunks Die Ärzte, die sich in „Männer sind Schweine“ (1998) sowohl über klischeehafte Männer als auch über Männerklischees lustig machen. Härtere Punks werden aber auch mal handfester beim Jemanden-Schwein-Nennen – ganz besonders natürlich, wenn es gegen Rechte und Rechts- radikale geht. Die kalifornischen Skatepunks Suicidal Tendencies etwa erkunden in dem Stück „Fascist Pig“ von ihrem Debütalbum Anfang der Achtziger genüsslich die tumbe Gedankenwelt eines gewaltbereiten Neonazis, inklusive Splatterdetails von platzenden Köpfen. Und ihre deutschen Kollegen von Slime kotzen sich Mitte der Neunziger – unter dem Eindruck der fremdenfeindlichen Morde in Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen – in „Schweineherbst“ über Faschos, Heuchler und Spießbürger aus. Die Dortmunder Ur-Punkband The Idiots trat sogar jahrelang in Schweinemasken auf – naheliegend bei Liedern wie „Schweine im Weltall“ (1986) und „Schweine ins Weltall“ (2013) sowie der LP „Schweineköter“ (2019). Wobei etwas unklar war, was genau die Altpunks eigentlich ausdrücken wollten, wenn sie sich selber zur Sau machten. Vermutlich Kritik an den Herrschenden.
Kriegstreiberische Politikerschweine
Damit stünde die Band The Idiots in einer altehrwürdigen Poptradition von Beschimpfungen der Obrigkeit als Borstenviecher, die Ende der Sechzigerjahre in Hippie- und Gegenkultur Form angenommen hatte. Die vermutlich bekannteste dieser Diffamien entstand 1969 während langer Nächte im Kellerclub des Hotels Hirschen in Zürich. Dort steckten die britischen Hardrocker Black Sabbath damals sechs Wochen lang fest, weil sie sich tatsächlich als Hausband verpflichtet hatten, die jeden Abend sieben Auftritte à 45 Minuten hinlegen musste. Weil die Gruppe dafür gar nicht genug Repertoire in petto hatte, schrammelte sie nächtelang Jamsessions. Während einer davon schrieb der stets finster dreinblickende Bassist Geezer Butler vor dem Hintergrund des damals tobenden Vietnamkriegs ein Lied, das kriegstreiberische Politiker und Generäle als von Satan höchstpersönlich gelenkt porträtierte. Er nannte es „Walpurgis“, weil er das für „so etwas wie Weihnachten für Satanisten“ hielt. Das ist zwar in gleich mehrfacher Hinsicht Quatsch, aber der Plattenfirma von Black Sabbath war der Titel trotzdem zu böse. Also taufte die Band das Stück um in „War Pigs“, was ja immer- hin so ähnlich klingt. Diese musikalische Klage über Kriegsschweine gilt heute als Gründungsdokument von Heavy Metal und ist ein Klassiker.
Nur ein Jahr vor Black Sabbath hatten die Beatles als wohl eine der ersten Popbands die da oben als Schweine geschmäht. In ihrem Stück „Piggies“ skizziert der Songschreiber und Texter George Harrison eine Klassengesellschaft aus kleinen und größeren Schweinen, die bei aller Dreckschleuderei immer mit einer weißen Weste davon- kommen. Das Stück hat eine düstere Fußnote, denn es wurde von dem Sektenführer Charles Manson fundamental fehlinterpretiert: Der dachte, „Piggies“ sei eine Aufforderung zum Abschlachten des weißen Establishments. Die Mitglieder seiner Manson Family, die am 9. August 1969 in Los Angeles fünf Menschen ermordeten, schmierten darum mit dem Blut der Getöteten das Wort „pig“ an die Haustür des Tatorts. Einem ihrer Opfer rammten sie sogar eine Gabel in den Bauch und ein Steakmesser in die Kehle – offenbar als Reminiszenz an die Beatles-Songzeile „clutching forks and knives to eat their bacon“.
Inspiration George Orwell
Mit ihrer tragisch missverstandenen Gesellschaftskritik waren die Beatles ebenso inspiriert von George Orwells Fabel „Animal Farm“ wie ein knappes Jahrzehnt später die britischen Bombast-Rocker Pink Floyd. Die teilten auf ihrem Album „Animals“ (1977) alle Menschen in die Kategorien Schwein, Hund oder Schaf ein. „Schweine“ waren dabei die Wohlhabenden und Mächtigen, die noch gefährlicher sind als die brutalen „Hunde“ (gefährlicher als die dummen „Schafe“ sowieso). Um das den Fans klarzumachen, ließ die Band bei Liveauftritten jahrelang ein auf- blasbares Riesenschwein mit bedrohlichen Leuchtaugen über ihr Publikum segeln. Und mit „Pigs on the Wing“ vom „Animals“-Album etablierte Pink Floyd auch noch die rhetorische Figur des fliegenden Schweins im Pop. A flying pig steht im Englischen für eine Aussage, die auf keinen Fall wahr werden kann – analog zu „Ich glaub, mein Schwein pfeift“ im Deutschen. Das Thema erfreut sich seitdem von Frank Zappa bis zum ehemaligen The-Clash-Sänger Joe Strummer großer Beliebtheit – und wurde 2013 vom Wut-Rapper Eminem in dem Stück „Legacy“, in dem er sich gegenüber potenziellen Kontrahenten seiner Reimfähigkeiten rühmt, wohl maximal auf diese Weise ausgereizt:
„The day you beat me,
pigs will fly out my ass,
into a flying saucer,
full of Italian sausage.“
Diese Zeilen sind nicht nur wegen des hirnverknotenden Bilds darin bemerkenswert – sondern auch, weil Rapper ansonsten üblicherweise etwas anderes im Visier haben, wenn sie etwas auf „pig“ reimen: die Polizei. Eine weit verbreitete Gleichsetzung, die schon im London des 19. Jahrhunderts üblich war. Diese Beleidigung brachten die Black Panthers in den Sechzigern in den USA wieder in Mode, sie ist dort sogar als Meinungsäußerung von der Verfassung gedeckt. Das nutzten etwa die Kiffer-Rapper Cypress Hill weidlich aus, als sie gleich auf dem ersten Track ihres Debütalbums 1991 in einem klassischen englischen Kinderreim-Schema über korrupte, faule und brutale Cops herzogen („Pigs“). Nur sieben Jahre später war das Thema in den dauerbenebelten Köpfen der Band gewissermaßen gereift, denn in „Looking Through The Eyes Of A Pig“ porträtieren sie einen Ordnungsbeamten in einem inneren Monolog fast schon mitfühlend als geschieden und alkoholabhängig, zynisch und verzweifelt.
Verstohlene Bewunderung
Singt also wirklich niemand auch mal ein Loblied auf Schweine? Doch – manchmal blitzt in der Pop-Historie sogar verstohlen so etwas wie Bewunderung für die Tiere auf. Das gilt besonders für China, wo nicht nur die Hälfte aller Rippchen und Bauchspeckschwarten weltweit gegessen wird, sondern wo Schweine auch symbolisch für Erfolg, Reichtum und Überfluss stehen. Die Sängerin Xiang Xiang etwa stieg 2005 mit ihrem Song „Zhu Zhi Ge“ („Schweinelied“) zum ersten Internet-Popstar des Reichs der Mitte auf. Sie preist darin die körperlichen Eigenheiten der Tiere und endet mit einem herzhaften Grunzen. Im zugehörigen Videoclip tanzt Xiang Xiang in Formation mit rosig glänzenden Säuen und Ebern vor dem Kamin eines Virtual-Reality-Palasts. Anschließend fliegen sogar einige der Tiere durch die Luft, mit überdimensionierten Schlappohren als Flügeln.
Im Westen dagegen rühmten zwar schon in den Zwanzigerjahren Bluesmusiker wie Bessie Smith („Gimme a Pigfoot And a Bottle of Beer“), The Two Charlies („Pork Chop Blues“) oder Blind Boy Fuller („I Crave My Pig Meat“) Schweine – das allerdings ausschließlich in gegrillter Form. Und selbst wenn später Bands wie die schottischen Folk-Psychedeliker The Incredible String Band („Big Ted“, 1969) oder die verschrobenen Indierocker Weezer („Pig“, 2008) Borstenviecher auch mal als selbstgenügsame Stoiker mit einem glücklichen Leben bezeichneten, dann endet es doch immer gleich: auf der Schlachtbank, wo schon das Messer gewetzt wird. Da ist es letztlich nur konsequent, was der oft konzeptuell arbeitende britische House-Produzent Matthew Herbert auf seiner Platte „One Pig“ 2011 angerichtet hat: Er hat das Leben eines einzelnen Schweins von der Geburt bis zum Tod aufgenommen und zu Musik verarbeitet. Die Platte beginnt, nach einer Minute Bauernhof-Ambientsounds, mit einem tiefen Einatmen – dem ersten Atemzug des neugeborenen Ferkels. Es folgt die Kakofonie eines weitgehend geruhsamen Lebens mit viel Gegrunze und Gequieke. Kühe muhen nebenan, ein Trecker fährt vorbei. Und es endet mit den Geräuschen, wie der Körper des Schweins zersägt wird, wie sein Blut in einen Eimer tropft – und wie sich schließlich eine Gruppe von geladenen Freunden des Musikers in einem zwölf- gängigen Bankett laut kauend und schmatzend darüber hermacht. Dazu ertönen eine Trommel, die mit der Haut des Tiers bespannt wurde, sowie eine selbst erfundene „Schweineblutorgel“, die Klänge über lange blutgefüllte Rohre moduliert.
Mit „One Pig“ wollte Herbert nach eigener Aussage eine Alltäglichkeit enthüllen, die die meisten Menschen lieber ignorieren würden. „Das Schwein spaltet die Menschen wie kein anderes Tier“, sagte der Produzent anlässlich der Veröffentlichung. Schließlich habe, zumindest im globalen Norden, jeder Verbraucher täglich mit zahlreichen Produkten zu tun, in denen Teile von Schweinen enthalten sind. „Und zugleich sind diese Tiere das Ziel von so viel Verachtung und Geringschätzung“, so Herbert. „Wir geben ihnen nur selten eine eigene Stimme. Dabei würde ich mir wirklich wünschen, dass wir etwas sorgfältiger zuhören.“ ••