Mit ihrer langjährigen Freundin teilt Elisabeth Glatzenberger nicht nur viele Erinnerungen, sondern auch so manchen Erfolg. Beide stammen aus benachbarten Dörfern in Niederösterreich und kellnerten in Wien gemeinsam neben dem Studium. Deshalb wissen sie, dass sie sich immer aufeinander verlassen können – auch über das Privatleben hinaus. Glatzenbergers Freundin meldete sie darum kürzlich prompt bei ihrem Arbeitgeber, den Wirtschaftsprüfern von Pricewaterhousecoopers (PWC), als potenzielle Kandidatin für eine Stelle, die in ihrer Abteilung frei wurde. Bereits eine Woche später erhielt Glatzenberger eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch. Eine weitere Woche später bekam sie die Jobzusage. „Das ging extrem schnell“, erinnert sich die 27-Jährige. Seit Anfang des Jahres arbeitet sie nun an der Seite ihrer langjährigen Freundin bei PWC Forensic Services, einer Abteilung, die Wirtschaftskriminalität aufklärt und Unternehmen zu Präventionsmaßnahmen berät.
PWC Österreich nutzt seit einigen Monaten eine Software des Start-ups Firstbird, um solche Empfehlungen der eigenen Mitarbeiter zu organisieren und systematisch auszuwerten. Über eine Schnittstelle zum hauseigenen Personalmanagement-System können die Mitarbeiter offene Stellen einsehen, Jobangebote teilen und Empfehlungen aussprechen. Wer persönliche Kontakte über offene Stellen informiert, bekommt dafür Punkte gutgeschrieben, die sich später in kleine Geschenke umwandeln lassen, etwa einen Smartphone-Halter fürs Fahrrad. Wer einen Kandidaten empfiehlt, der die Probezeit übersteht und unbefristet angestellt wird, erhält dazu eine Prämie in Höhe von 1500 Euro. „Wir ermutigen unsere Kollegen, das System zu nutzen“, sagt Elizabeth Hull, Personalchefin von PWC Österreich. Immerhin schon fast jeder dritte Mitarbeiter nutze das Angebot, teile Jobangebote über die Plattform und spreche Empfehlungen aus. „Unsere Software ist ein einfaches Tool, um das eigene Netzwerk effektiv nutzen zu können“, erklärt Arnim Wahls, CEO von Firstbird, der das Start-up 2013 gegründet hat. Inzwischen wenden rund 1900 Kunden – vor allem aus Deutschland, aber auch aus Österreich, der Schweiz, Irland und den USA – seine Software an. Firmenchef Wahls hatte vor der Gründung selber in der Personalabteilung einer großen Anwaltskanzlei gearbeitet. „Da habe ich sehr schnell gemerkt, dass eine gute Empfehlung das beste ist, was einem Recruiter passieren kann“, sagt er.
Die wichtigste Quelle
Immer mehr Personalchefs teilen Wahls’ Einschätzung: Die Empfehlungen der eigenen Mitarbeiter, die etwa Kollegen, Berufskontakte, Bekannte, Freunde oder Verwandte für offene Stellen vorschlagen, werden immer wichtiger, wenn Unternehmen neues Personal suchen. So gaben bei einer aktuellen Umfrage der Meinungsforscher YouGov und des Job-Portals Monster zwei Drittel der befragten deutschen Personalverantwortlichen an, dass die eigenen Beschäftigten die wichtigste Quelle für neue Mitarbeiter sind. Fast zwei Drittel aller Personalverantwortlichen besetzen nach Erhebungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung denn auch tatsächlich Stellen über persönliche Kontakte oder Empfehlungen ihrer Mitarbeiter (siehe Interview). Und einer Studie vom Centre of Human Resources Information Systems der Uni Bamberg zufolge fordern die Top-1000-Unternehmen in Deutschland ihre Mitarbeiter immerhin schon bei jeder vierten Vakanz auf, Empfehlungen für geeignete Kandidaten abzugeben – vor allem in Branchen wie der Automobilindustrie, dem Handel oder der IT.
Kein Wunder, denn vor allem Hightech-Unternehmen wünschen sich heute gut ausgebildete Mitarbeiter, die sich in unterschiedlichen Rollen und Teams einbringen können. Personaler suchen darum nicht mehr den passenden CV, sondern den passenden Typ. Und den kennt das eigene Team ziemlich genau. Schließlich können Mitarbeiter sehr gut einschätzen, wer von ihren Freunden oder Bekannten zu ihrem Arbeitgeber passen würde. Empfehlungen sind darum zunehmend das Mittel der Wahl, wenn sich Personalchefs nach neuen Mitarbeitern umsehen. Denn Headhunter, Zeitungsannoncen, Hochglanzbroschüren oder Messeauftritte kosten entweder viel Geld oder sprechen nicht gezielt die passenden Kandidaten an. Die Streuverluste sind zu hoch.
„Jedes Zeugnis ist eine Empfehlung“
„Das Phänomen Empfehlungsrecruiting ist quasi so alt wie die Arbeitswelt – schließlich ist jedes Zeugnis eine Empfehlung“, sagt Jörg Klukas, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Personalwesen an der Hochschule FOM in Leipzig. Berufliches Netzwerken war schon wichtig, als die meisten Menschen noch als Handwerker in kleinen Dörfern ihr Werkzeug geschwungen haben. Heute sind Tipps und Hinweise dank der sozialen Medien so einfach wie nie. „Statt beim Würstchengrillen im Freundeskreis über den eigenen Arbeitgeber zu schwärmen, reicht ein Mausklick“, sagt Klukas. Und Firmen regen ihre Mitarbeiter seit neustem systematisch zu Empfehlungen an, um dann die Ergebnisse auszuwerten, wie Klukas in einer Studie gezeigt hat. So legen vor allem größere Firmen unternehmensinterne Programme auf, die gezielt Hinweise der eigenen Mitarbeiter abfragen und aufbereiten. Und bei Anbietern wie Talentry, SAP SuccessFactors, der US-Firma Boon oder Firstbird können Kunden Empfehlungsrecruiting sogar als Software und Dienstleistung beziehen.
Einen anderen Ansatz verfolgt der „Empfehlungsbund“ von Klukas’ eigener Firma Pludoni: Hier können Firmen für einen jährlichen Beitrag einem Club beitreten, in dem sich Unternehmen gegenseitig Fachkräfte empfehlen. Das sind etwa Kandidaten, die bei Besetzungsverfahren in die Endrunde kamen, aber die Stelle letztlich nicht bekamen, oder Azubis und Werksstudenten, die nicht übernommen wurden, sowie Mitarbeiter, denen die Firma betriebsbedingt kündigen musste. Solche Fachkräfte reichen die Partner im Empfehlungsbund dann an andere Firmen weiter. Das Angebot ist 2009 mit 17 Firmen gestartet, inzwischen sind Klukas zufolge schon 7000 Fachkräfte zwischen 230 Firmen vermittelt worden – vor allem IT-Experten und Ingenieure. So werden aus Wettbewerbern Partner, die sich gegenseitig helfen.
Prämien motivieren
Dagegen stehen unternehmensinterne Programme, welche die Belegschaft zum Mitdenken motivieren. Auch wenn die Mitarbeiter eigentlich mit anderen Aufgaben befasst sind, sollen sie sich einbringen, wenn es Vakanzen gibt. Dabei, da sind sich die Experten einig, sind Prämien enorm wichtig. Oft erhalten erfolgreiche Hinweisgeber am Ende bares Geld. Andere Unternehmen verschenken Sachwerte, etwa Reisegutscheine oder zusätzliche Urlaubstage. Häufig aber reicht es schon, das Vermittlungsprogramm wie ein Spiel aufzuziehen, Punkte zu verteilen und eine Rangliste der besten Vermittler im Haus zu veröffentlichen.
„Geld ist nur ein Tauschmittel, da gibt es keine direkte Verbindung zum Anlass“, sagt Wolfram Kaiser, Personalleiter der Hamburger Volksbank. Das Geldinstitut wirbt mit dem Slogan „Man kennt sich“ – und der Satz könnte auch als Überschrift für das hauseigene Empfehlungsprogramm stehen. Banker, die erfolgreich einen neuen Kollegen vermitteln, dürfen zwei Monate lang ein Mini-Cabrio nutzen – inklusive Benzin, Versicherung und Wartung. Das Programm ist ein voller Erfolg, das Cabrio von März bis Oktober durchgehend ausgebucht. Der Chef freut sich derweil über neue Mitarbeiter, die exakt zum Unternehmen passen – und darum überdurchschnittlich loyal sind. So haben Kaiser zufolge nur zehn Prozent der Mitarbeiter, die seit 2007 über Empfehlungen zur Hamburger Volksbank gekommen sind, das Unternehmen seitdem wieder verlassen. Zum Vergleich: Bei Rekrutierungen über andere Kanäle sind es etwa 30 Prozent. „Das Einarbeiten eines neuen Kollegen kostet ungefähr ein Jahresgehalt“, sagt Kaiser. „Darum ist es unser Interesse, dass wir sie nicht wieder verlieren.“ Dass sich die neuen Kollegen besonders gut integrieren und überdurchschnittlich lange bleiben, liegt auch daran, dass ihre Bekannten vorher genau überlegen, wen sie ihrem Arbeitgeber als neuen Kollegen vorschlagen. „Sie werfen schließlich ihre eigenen Bekanntschaften und Freundschaften sowie auch ihr Standing im Unternehmen in die Waagschale, wenn sie uns jemanden nennen“, sagt der Volksbank-Personaler Kaiser.
Nachdenken vor dem Empfehlen
„Empfehlende sollten natürlich nur Kontakte vorschlagen, von deren Fähigkeiten sie überzeugt“, bestätigt Joachim Skura. Er ist bei dem Software-Hersteller Oracle Deutschland Vordenker im Personalwesen. Oracle sammelt systematisch Empfehlungen ein und wertet sie aus. So hat der Technologiekonzern schon ganze Abteilungen ohne eine einzige Personalanzeige besetzt. „Empfehlende wie Empfohlene vertrauen ihren Beziehungen“, sagt Skura, „und das ist sehr wichtig für uns, denn so können wir die Qualität von Neubesetzungen stark steigern.“
Der HR-Stratege nennt Empfehlungsrecruiting „elektronische Mund-zu-Mund-Propaganda“ – schließlich geht es dabei letztlich um das gute alte Netzwerken. Auch wenn es mit Hilfe neuer Instrumente geschieht. „Das ist das beste Vehikel beim Recruiting“, sagt Skura. „Kein System, kein Assessment-Center, kein Headhunter ist so gut wie die Einschätzung eines Bekannten oder Kollegen, der mit dem Kandidaten zusammen Aufgaben gelöst hat. Das erhöht die Treffsicherheit signifikant.“
Berufseinsteigern und Young Professionals empfiehlt Skura, sich zunächst über die eigenen Fähigkeiten und Interessen klar zu werden und diese dann zu formulieren – natürlich auch in sozialen Netzwerken wie Xing oder Linkedin. „Ein Betrachter muss sofort erfahren, was jemand kann, wofür er steht und wohin er will“, sagt Skura. Dann sollten Neulinge ihr Netzwerk ausbauen, etwa über Praktika Kontakte knüpfen. Auch während der Mittagspause in der Kantine, an der Bar bei der Betriebsfeier oder beim Rundgang über Fachmessen kommt man schnell mit anderen ins Gespräch. Ab diesem Punkt muss dann das Netzwerk die Arbeit übernehmen. Denn auch zu viele Worte darüber, dass man eine Stelle sucht, sind Skura zufolge kontraproduktiv. „Auf keinen Fall sollten Jobsuchende durch soziale Netzwerke tingeln“, sagt er. „Es gibt einen Unterschied zwischen Anbiedern und Zugehen auf Unternehmen mit einem klar definierten Leistungsvermögen – ersteres nein, zweites klar ja.“ Wer zu viel quatscht, geht seinem Ansprechpartner im schlimmsten Fall sogar auf die Nerven. Stattdessen müssen Netzwerke organisch wachsen – schließlich können nur Menschen in engen Beziehungen relevante Aussagen über einen potenziellen Kandidaten treffen. Und Suchende sollten auch klassische Stellenausschreibungen nicht aus den Augen verlieren.
Elisabeth Glatzenberger, die über die Empfehlung ihrer Jugendfreundin bei PwC Österreich gelandet ist und nun Unternehmen zu Wirtschaftskriminalität berät, freut sich noch immer über die überraschende und schnelle Wendung in ihrem Lebenslauf. Ursprünglich hatte sie Master-Abschlüsse in Nachhaltigkeitsmanagement und Strategischem Management gemacht. „Da mein Background ein ganz anderer ist, hätte ich mich von selbst nie für diese Stelle beworben“, sagt die Berufseinsteigerin. Und weil sie nun auch noch an der Seite ihrer langjährigen Vertrauten arbeitet, hat sie im Job neben ihrem Coach auch noch eine Gefährtin, die ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen kann.
Interview
„Über zwei oder drei Ecken“
Anja Warning hat am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die IAB-Stellenerhebung 2016 geleitet, an der rund 13.000 Unternehmen teilgenommen haben.
Frau Warning, auch über Tipps und Hinweise haben Personalverantwortliche schon immer passende Kandidaten gefunden. Aber seit einigen Jahren werten sie diesen Weg systematisch aus. Welchen Stellenwert hat das Recruiting über Empfehlungen heute?
Es ist mittlerweile einer der wichtigsten Suchwege für Betriebe, die neues Personal einstellen wollen. So suchen Unternehmen heute bei jeder zweiten Stelle über persönliche Kontakte und die eigenen Mitarbeiter. Empfehlungsrecruiting ist dabei der erfolgreichste Weg: Bei fast zwei Dritteln aller Versuche konnten die Personalverantwortlichen auf diese Weise tatsächlich einen passenden Kandidaten finden. Kein anderer Rekrutierungskanal hat eine ähnlich hohe Erfolgsquote. Die Jobsuche über Kontakte ist also extrem relevant.
Wie haben sich diese Zahlen in den vergangenen Jahren entwickelt?
Die Erfolgsquote steigt. Das hat sicher damit zu tun, dass inzwischen viele Aufgaben immer komplexer und vielfältiger werden, soziale und kulturelle Kompetenz spielen in vielen Bereichen eine große Rolle. Die Unternehmen haben also häufig sehr konkrete Anforderungsprofile für ihre freien Stellen. Um diese besetzen zu können, setzen sie auf die Empfehlungen derer, die diesen Profilen ebenfalls entsprechen und denen sie vertrauen. Die eigenen Mitarbeiter wissen schließlich genau, wer passen könnte. Ein positiver Nebeneffekt: Die Unternehmen sparen damit Zeit und Kosten für klassische Instrumente wie Stände auf Karrieremessen.
Verlieren diese klassischen Rekrutierungskanäle also im Gegenzug an Bedeutung?
Tendenziell sind klassische Inserate in Tageszeitungen oder Zeitschriften nicht mehr so bedeutsam wie noch vor ein paar Jahren. Das liegt auch daran, dass Firmen in diesen Anzeigen nur sehr begrenzt die sehr komplexen Anforderungsprofile beschreiben können. Der Platz ist einfach begrenzt. Auch deshalb legt die Suche über die firmeneigene Homepage oder über soziale Medien ebenfalls weiter zu. Hier können die Personalverantwortlichen nämlich ins Detail gehen.
In welcher Altersgruppe suchen Personalverantwortliche vor allem über Empfehlungen?
Wenn Unternehmen über Netzwerke suchen, funktioniert das vor allem dann besonders gut, wenn jüngere Mitarbeiter eingestellt werden. Das heißt, wer den Berufseinstieg sucht oder wer nach dem ersten Job die Stelle wechseln möchte, sollte unbedingt auf Kontakte setzen. Und das bedeutet nicht, dass ich immer direkt jemanden in dem Unternehmen kennen muss, das mich interessiert. Sondern dass ich unter Freunden, Bekannten und sonstigen beruflichen Kontakten streue, dass und was ich suche. Das geht manchmal über zwei oder drei Ecken – und führt schließlich dennoch sehr oft zum Erfolg.