Mogst an Beuschelreißer?

Dummy Magazin

Das wunderbare österreichische Deutsch kann eine Haltung ausdrücken, mit der sich der Welt gut gegenübertreten lässt.

Die rote Frucht kam aus fernen Gestaden, Südamerika, das den Menschen in Europa damals vermutlich wie das biblische Paradies erschien, dräuender Rauswurf inklusive: wir hüben in den Mühen der Zivilisation, ihr drüben in der Wildnis des Garten Eden, die Schlange stets im Nacken. So wurde die rote Frucht „Paradiesapfel“ getauft, in weiten Teilen Österreichs dann besser bekannt geworden als: Paradeiser. Der muss heute meist herhalten, wenn von den Spezialitäten des österreichischen Deutschs die Rede ist, selbst wenn man auch in Österreich inzwischen vielerorts einfach „Tomate“ sagen kann. Aber wie in diesem Wort scheint überhaupt in der Sprache des Landes eine Epoche konserviert, in der die Welt noch übersichtlich war, von der Geografie bis zur sozialen Hierarchie, die in Österreich wie eh und je fein gerastert ist in zahllosen Anreden, Berufstiteln und akademischen Graden. 100 Jahre nach dem Ende der österreichischen Monarchie und allen EU-Reformen zum Trotz reicht deren Liste jedenfalls immer noch vom „Herrn Hofrat“ über die „Frau Magistra“ bis zum unterwürfigen g’schamsten Diener.

Eben dieses angenehme Retro-Flair, und nicht etwa Assoziationen mit Hüttengaudis oder dem Heilschmalz volkstümlicher Musik, macht das österreichische Deutsch so liebenswert: Es lässt sich als ein Antidot gegen den Zeitgeist verwenden, weil es sich mit altertümlichen Floskeln und umständlichen Ausspreizungen gegen bares Effizienzdenken sperrt. Und dazu kommt ja noch die Aussprache, die in den Köpfen Außenstehender meist die Wiener Intonation ist: weich und laaaangsam. Diese Gemächlichkeit lässt den multitaskenden Hektiker süffisant ins Leere hampeln, kann aber, wenn es gar zu deppert wird, auch mal ludenhaft für klare Verhältnisse sorgen („Heast Oida, hoit di Pappn, sonst foat dei Zahnbürschtl ins Leere“). Insgesamt eine Haltung, mit der sich der Welt gut gegenübertreten lässt.

Wie stahlkalt und nüchtern betriebsam ist dagegen doch das bundesdeutsche Deutsch, dessen spezifischen Wortschatz man unschön (und in Österreich möglicherweise nasal intoniert) „Deutschlandismen“ nennt. Das Pendant dazu sind die „Austriazismen“, Merkmale des österreichischen Deutschs, das kein Dialekt ist, da wird man im Alpenland zu Recht grantig, sondern eine von drei Varietäten des Deutschen (neben dem bundesdeutschen und dem schweizerischen). Keine richtig eigenständige Nationalsprache zwar, wohl aber die eigenständige Ausprägung einer Sprache mit mehreren gleichwertigen Zentren, ähnlich dem britischen und dem US-amerikanischen Englisch. Auf echte sprachliche Unabhängigkeit pochten Österreichs Linguisten übrigens plötzlich mit dem Ende des Nationalsozialismus, um sich vom deutschen Nachbarn zu distanzieren, seither jedoch mit abnehmender Lautstärke.

Heute sind rund 0,4 Prozent der Wörter im Duden als spezifisch österreichisch markiert, etwa der Jänner (Januar) und sein etwas unbekannterer Bruder, der Feber (Februar). Die lautmalerische Bim für die Straßenbahn mit ihrer Warnglocke. Oder der Schnackerl für den Schluckauf. Dazu kommen Umgangssprache, Soziolekte und lokale Mundarten, es gibt Piekfeines wie die Delogierung, die sogar einer Zwangsräumung ein wenig Eleganz verschafft, den Pompfüneberer (vom französischen „pompes funèbre“ für Bestatter) und das Speibsackerl (Kotztüte). Aber auch Extraderbes wie den Beuschelreißer für eine starke Zigarette, die anständig in die Lunge (Beuschel) fährt, oder pudern für koitieren.

Solche Beispiele für österreichische Nonchalance zeigen meist eigentlich die Nonchalance Wiens, denn die lokalen Sprechweisen der Hauptstadt stehen im Ausland oft prototypisch für österreichisches Deutsch. Die Metropole im dicht bevölkerten Osten des Landes war einst das Zentrum der Habsburgermonarchie, findet sich heute aber ganz am Rand des deutschen Sprachraums – zugleich allerdings nur 70 Kilometer von der ungarischen Grenze und 80 Kilometer von der slowakischen Hauptstadt Bratislava entfernt. Wien bewahrt darum besondere Eigenständigkeit und ist ein Reservat für K.u.K-Deutsch, das immer offen war für Einflüsse aus angrenzenden Sprachräumen. Vor allem über dieses Einfallstor wanderten neue Worte und Redeweisen aus den nicht-deutschsprachigen Landstrichen des Vielvölkerstaats Österreich-Ungarn ein, dessen Territorium heute teils in Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Serbien oder Kroatien liegt.

Dabei haben vor allem K.u.K-Begriffe aus Verwaltung und Küche die letzten 100 Jahre überlebt – ein Zeichen dafür, dass strenge Bürokratie und gutes Essen den Laden zusammengehalten haben. So hat es denn mit dem EU-Beitritt Österreichs eine Reihe von Gustostückerln sogar in eine offizielle Liste der „spezifisch österreichischen Ausdrücke“ innerhalb der Europäischen Union geschafft, darunter Faschiertes für Hackfleisch, Obers für Sahne oder Eierschwammerl für Pfifferlinge. Dazu kommen inoffizielle Ausdrücke, etwa das slawischen Sprachen entlehnte Kukuruz – zu dem man aber auch einfach „Mais“ sagen darf.

Mit solch vielfältigen Sprachoptionen müssen Österreicher – wie auch viele Süddeutsche und anders als Norddeutsche – nicht den ganzen Tag lang gleich sprechen. Stattdessen können sie je nach Situation und Gesprächspartner zwischen den Sprachebenen hin und her springen wie die Hauptfigur eines Computerspiels. So lassen sich doppelte Böden einziehen, feine Betonungen setzen oder Falltüren konstruieren. Das ergibt einen Reichtum an Nuancen und Ausdrucksmöglichkeiten. Trotzdem aber empfinden Österreicher ihre Deutschvarietät mehreren Umfragen zufolge als minderwertig, provinziell und behäbig dem Bundesdeutschen gegenüber. Ein bisschen behäbig vielleicht schon, aber das ist doch gerade das Wunderbare!

Wie quasi alles Schöne ist auch das österreichische Deutsch vom Aussterben bedroht. Vor allem junge Österreicher verwenden inzwischen lieber bundesdeutsche Ausdrücke. Die kennen sie aus den deutschen TV-Sendern, die in Österreich seit den 1980ern zu empfangen sind, aber auch aus Kinderbüchern, die oft von Verlagen aus dem größeren Nachbarland stammen, sowie natürlich aus dem grenzenlosen Internet. Sie verbinden mit dieser Form des Deutschen Modernität und Bildungsprestige, sagen nun zum Schrecken der österreichischen Sprachschützer „die Cola“ statt das Cola, „lecker“ statt geschmackig, „T-Shirt“ statt Leiberl. Und „Tschüss“ statt Servus. Den Österreichern, man muss das sehr bedauern, wird das österreichische Deutsch leider zunehmend Powidl (eigentlich „Pflaumenmus“, hier aber: „egal“). Nur wer sagt dann jetzt dem Zeitgeist, er solle mal die Pappn halten?