Interview: „Jeder hat seinen Kampf“

Spex

Über Afrika ist einiges gesagt und geschrieben worden in den vergangenen Wochen. Insbesondere die Kritik im Rahmen von Bob Geldofs ewigem Projekt Band Aid erfolgte meistens zu recht: 54 Staaten erfordern ein Maß an Diversität, das der Westen (also wir) oftmals nicht einzubringen in der Lage ist. In einer Sache ist Afrika aber tatsächlich ein quasi-geschlossener Kontinent: Homophobie, weit über die Grenzen des Hasses auf homosexuell lebende Menschen hinaus, ist der Status quo des Kontinents. Aber natürlich gilt das nicht gleichzeitig für alle dort lebenden Menschen. Wir sprachen mit dem Journalisten Kevin Mwachiro, der mit Invisible – Stories From Kenya’s Queer Community die wohl erste Streitschrift afrikanischer Provenienz zum Thema veröffentlicht hat.

Herr Mwachiro, Homosexualität ist in mehr als 30 von 54 Staaten Afrikas illegal. In Kenia können Sie für schwulen Sex bis zu 14 Jahre in den Knast wandern. Wie leben Sie als Schwuler in Nairobi?

Ich denke nicht die ganze Zeit darüber nach, dass ich schwul bin, und ich schaue darum auch nicht die ganze Zeit über meine Schulter, ob mich jemand verfolgt. Ich habe einen schwulen Freundeskreis, wir gehen zusammen aus, wir essen zusammen, wir haben normale Jobs, wir machen einfach weiter mit unseren Leben. Man erschafft Sphären von Sicherheit, in denen man sich wohl fühlt. Aber es gibt natürlich Einschränkungen. Wir können nicht in der Öffentlichkeit unsere Hände halten, geschweige denn uns küssen. Man braucht halt Mut, um Freiräume zu erweitern. Zum Beispiel steht in meinen Meldeunterlagen, dass man als nächsten Angehörigen meinen Partner unterrichten soll, wenn ich einen Unfall habe. So etwas geht inzwischen – wenn man möchte.

In Europa hört man aus Afrika zu dem Thema vor allem Negatives. Ist Kenia oder zumindest die Großstadt Nairobi vergleichsweise akzeptierend?

Manche Kreise, ja. Das Bild, das man aus westlichen Medien bekommt, trifft nicht immer, wie es vor Ort wirklich ist. Die Lage ist komplexer. Kenia war schon immer ein Transitland, multikulturell, das ostafrikanische Tor zum Kontinent. Bei uns kreuzen sich arabische Kulturen, indische, zentralafrikanische. Das hilft vermutlich ein wenig bei der Offenheit. Vor allem natürlich in Nairobi. Aber nicht nur hier gibt es zumindest einige tolerante Menschen, auch in anderen, kleineren Städten wie Mombasa oder Kisumu sind inzwischen Queer-Communites aktiv. Und sie kommen nun auch in den Mainstream-Medien vor. Es wird anerkannt, dass Homosexuelle oder Menschen mit abweichenden Gender-Identitäten existieren, die Themen werden diskutiert.

Gibt es in Nairobi schwule und lesbische Clubs und Bars, in denen sich die Community treffen kann?

Es gibt einige Pubs, wo man nichts gegen Schwule hat. Aber es gibt keine offen schwulen oder lesbischen Orte, kein Schwulenviertel. Das ist utopisch. Man lernt halt, mit dem System zu leben. Andere gehen gar nicht raus und leben nur noch virtuell, wo sie Partner über Internetplattformen suchen. Das hilft immerhin bei der Identitätsfindung, weil man dort schnell auf Leute trifft, die sind wie man selber. Aber es macht auch anfällig gegen Erpressungen, was häufig vorkommt. Man muss wissen, wie es da draußen ist, man braucht einen Freundeskreis, der einem hilft und einen schützt. Und außerdem ändert es nichts, wenn man immer nur im Verborgenen bleibt und den Anschein wahrt.

Wohin gehen Sie, wenn Sie nachts Tanzen gehen wollen?

2006 wurde Gay and Lesbian Coalition of Kenya (GALCK) gegründet, eine Dachorganisation für schwule und lesbische Initiativen und Vereine. Damals hatten viele ihr Coming-out, und sie wollten unter Leute gehen. Da gab es einen Typen, der in Nairobi erstmals eine Partyreihe für Schwule und Lesben organisiert hat. Das war in der Zeit vor Smartphones, stattdessen bekam man eine Textnachricht oder ein PDF mit einer Nummer, die man anrufen konnte, um Karten zu kaufen. Und einen Tag vorher gab es die Adresse. Das war dann in Stadtvierteln, die etwas abgelegener sind. Als ich das erste Mal bei so etwas war, bin ich fast umgefallen. Es gab so viele von uns dort! Und es war erfrischend zu sehen, wie sich die Männer amüsiert haben oder wie direkt neben mir zwei Frauen ihre Becken aneinander gegrindet haben. Es gab einen Stripper für die Schwulen und eine Stripperin für die Lesben. Es waren Mittelklasse-Leute da, Typen aus den Slums, indischstämmige Kenianer, Südostasiaten, Weiße, alle.

Bedeutet das, die Queer-Szene ist weniger segregiert als die sichtbare Gesellschaft, wo weiße, indischstämmige oder schwarze Kenianer meist in eher getrennten Sphären leben?

Es gibt definitiv mehr kulturelle Vielfalt. Inzwischen kommen manchmal sogar Angehörige der somalischen Gemeinde Nairobis vorbei. Das ist deswegen interessant, weil die meist streng gläubig und dementsprechend konservativ sind. Und das Publikum bei den Partys ist heute viel, viel jünger, als wir es damals waren.Das zeigt, dass sich die Leute inzwischen früher im Leben trauen, offen zu sein.

Geschichten von Menschen aus all diesen unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen haben Sie in Ihrem Buch versammelt. Es ist erschienen beim Verlag Contact Zones NRB, der nach eigener Aussage „Exotismus, primitivistische Interpretationen und paternalistische Agenden“ kontern möchte mit Erzählungen der Protagonisten aus dem globalen Süden selber. War das die Idee: so der offiziellen Gesellschaft und dem Rest der Welt zu zeigen, dass es Schwule, Lesben, Transgender-Leute oder Bisexuelle in allen Schichten und Regionen des Landes gibt?

Es war enorm wichtig, das so aufzuziehen, damit niemand das als nur als ein Thema für eine Schicht oder eine Ethnie oder eine Region oder eine Religion oder als Phänomen aus den Städten abtun kann. Das muss man berücksichtigen in einem so diversen Land wie Kenia. Jetzt hat keiner mehr eine Ausrede. Ich hätte allerdings wirklich gern noch die Story eines weißen Kenianers dabei gehabt. Manche denken, für einen Weißen ist alles einfach in Kenia. Aber im Gegenteil, ich kenne ein paar Leute, die haben es wirklich nicht leicht.

Weil die eurokenianische Gemeinde wie so viele Diasporas auf der Welt eher konservativ ist?

Total! Ebenso die indischstämmige Gemeinde. Wenn mich Freunde aus Indien besuchen, sind die überrascht, wie althergebracht die Inder in Kenia sind. Aber letztlich ist es natürlich egal, wo auf der Farbskala oder sozialen Leiter man steht. Jeder hat seinen individuellen Kampf zu kämpfen.

In den Geschichten findet sich viel Tragik, aber auch viel Hoffnung, viel Stärke und Stolz der Protagonisten. Wie waren die Reaktionen in Kenia auf das Buch?

Als es veröffentlicht worden war, haben mich ständig Leute gefragt: „Dude, alles okay bei Dir?“ Aber mir ging es gut. Es gab nichts wirklich Beleidigendes, es sind sogar ein paar akzeptable Artikel in den großen Zeitungen erschienen, auch wenn eine Redaktion die dämliche Überschrift „Homosexuals launch book“ gewählt hat. Es ist mein Buch, ihr Deppen! Und alle möglichen unterschiedlichen Menschen kaufen es. Jemand wollte es für seine Nichte haben, weil er sich sicher war, dass die lesbisch ist, aber sich das nicht eingestehen wollte. Ein Freund war geschockt, weil er mein Buch im Büro seines Chefs gesehen hat. Ich möchte auch, dass meine eigene Familie es liest und dabei lernt. So macht es langsam seinen Weg durch die Gesellschaft.

Kurz nach der Veröffentlichung hatte im Frühjahr 2014 der erfolgreiche Autor Binyavanga Wainaina ein Coming-out, der prominenteste Kenianer bislang.

Ich hoffe, dass beides zusammen verändert, wie Öffentlichkeit in Kenia über Homosexualität denkt. Binyavangas Coming-out hat vielen Leuten Angst gemacht, weil sie jetzt anders über das Thema reflektieren müssen. Er ist ein gefeierter Autor, er hat zwei propere afrikanische Namen, er ist proudly Kenyan, und wenn er sich äußert, dann tut er das in der Sprache der einfachen Menschen. Und er ist schwul. Das zwingt viele dazu, die eigenen Vorurteile zu hinterfragen.

Die Vorurteile, die Sie ansprechen, besagen unter anderem, dass Homosexualität aus dem dekadenten Westen stamme. Viele Menschen in Afrika denken so. Die Queer-Community quer über den Kontinent kontert, dass vielmehr die ehemaligen Kolonialmächte über das Christentum Homophobie eingeschleppt haben.

Forschungen zeigen, dass es historisch gesehen immer Homosexualität in traditionellen afrikanischen Kulturen gab – natürlich gab es die! Und die Leute hatten einen Platz in den Dörfern. Es waren dann die Kolonialmächte mit ihren Moralvorstellungen und ihrem christlichen Glauben, die das Ganze kompliziert gemacht haben. Vor allem natürlich die Briten. Frankophone Länder waren historisch gesehen immer entspannter bei dem Thema. Erst in letzter Zeit haben einige von ihnen homophobe Gesetze erlassen. Dabei geht es den dort Herrschenden darum, die eher laxen Gesetze aus der Kolonialzeit zu übertrumpfen, um ihr Afrikanischsein zu beweisen. So lenken sie von den wahren Problemen ab, von Korruption, Armut oder der schlechten Infrastruktur. In Kamerun ist letztens ein Mann als „schwul“ verhaftet worden, weil er auf der Straße Bailey’s-Likör trank. Das war der Polizei nicht männlich genug.

Vielerorts scheinen sich die Zustände zu verschlechtern. Gambia hat gerade ein neues Anti-Homosexuellen-Gesetz erlassen, in Uganda hat nur der oberste Gerichtshof so ein Gesetz wieder einkassiert.

Einerseits. Andererseits verbessern sich die Umstände in großen Schritten. Nicht nur in Kenia, sondern quer über den Kontinent. Es gibt Konferenzen, es gibt Diskussionen über die spezifischen Herausforderungen in den unterschiedlichen Ländern und über Zugang zu Gesundheitsversorgung oder Rechtsberatung, überall vernetzen sich Organisationen, aber auch Communities kommen zusammen. In Senegal, Nigeria und Ghana gibt es Bewegungen, es gibt eine Community in Sierra Leone, Côte d’Ivoire hat eine blühende Barszene, es gibt positive Entwicklungen in Mosambik und Botswana, Angola, Ruanda, Burundi, auch in den nördlichen islamischen Ländern wie Ägypten, Algerien, Marokko, Tunesien. Ein Bekannter ist letztens sogar nach Südsudan gezogen, weil er die dortige Queer-Szene als Aktivist unterstützen wollte. Er musste letztlich nach Kenia zurückkehren, weil es nicht sicher genug war. Aber das zeigt immerhin, dass es dort eine Szene gibt, die sich langsam aufbaut. Es gibt auch einen panafrikanischen Ableger der International Lesbian and Gay Association, ILGA.

Es wäre aber dumm, einen so großen, diversen Kontinent wie Afrika über einen Kamm scheren zu wollen. Welche Unterschiede zwischen den Kulturräumen haben Sie bei Ihren Reisen ausgemacht?

Zum Beispiel habe ich in Westafrika gemerkt, dass dieser Teil des Kontinents durch seine geografische Lage immer schon etwas isolierter war als wir im Osten. Die Queer-Szenen dort sind sehr schwarz, sehr afrikanisch. Die Typen da mögen ihre Männer lieber kräftig und massig, nicht dünn. Sie müssen nicht alle ein Sixpack haben wie in Nairobi, sie rennen nicht die ganze Zeit ins Fitnessstudio, sondern essen lieber eine ordentliche Portion nyama choma (Swahili für Grillfleisch, Anm. d. A.).

Wäre das Bewusstwerden über so eine speziell afrikanische queere Identität einer der nächsten Schritte für die Bewegungen auf dem Kontinent?

Es gehört dazu, sich seiner selbst bewusst zu werden. Aber Beispiele aus Botswana oder Mosambik zeigen, dass die Leute erst mal die Systeme in ihren Ländern nutzen müssen, um Gesetze anzufechten und um sich auf dem Rechtsweg Freiräume zu erklagen. Ein mühseliger Weg. Aber viele unserer Kämpfe werden vor Gericht ausgetragen werden müssen. Und natürlich müssen wir unsere eigenen Geschichten erzählen, lauter und öffentlichkeitswirksamer als bisher – sonst wird sie jemand anderes für uns erzählen.

Kevin Mwachiro: „Invisible – Stories From Kenya’s Queer Community„, Contact Zones NRB, über Buchhandlung Walther König, 114 Seiten