Eine Klasse für sich

Dummy Magazin

Fast fünfzig Jahre lang unterdrückte in Südafrika eine weiße Minderheit systematisch die Mehrheit der Bevölkerung. Ihre Schuldgefühle wegen der langen Apartheid-Ära verarbeiten manche Weiße mit Verweisen auf ein altes Auto, den Ford Zephyr. Viel Fracht für eine kleine Familienkutsche.

Eine gerade Motorhaube vorn, ein ebenso gerader Kofferraum hinten: Die Mittelklasse-Limousine Ford Zephyr, die 1950 auf dem Markt kam, ist ein Auto wie aus einer Kinderzeichnung. Der US-Autokonzern hatte die Familienkutsche von seiner britischen Tochter entwerfen lassen und montierte sie dann in mehreren Werken im Commonwealth für lokale Märkte, in Großbritannien ebenso wie in Australien oder Neuseeland. Und das mehr als zwanzig Jahre lang in immer wieder überarbeiteten Versionen, anfangs noch recht knubbelig, später etwas gestreckter. Auch in Südafrika gingen Zephyrs vom Band, Vier- oder Sechs-Zylinder-Motor, vier Gänge, maximal 130 bis 140 Stundenkilometer schnell. Hier, am südlichen Ende des afrikanischen Kontinents, wurde das Auto zu einem Statussymbol für die untere Mittelschicht: In den Vororten der Großstadt Johannesburg, aber auch in Arbeiterstädtchen im Landesinneren oder in Käffern auf dem platten Land zogen Zephyre Staubfahnen in den Sonnenuntergang. Hinter dem Steuer saßen einfache Beamte, Arbeiter oder Kleinbauern. Und so ziemlich alle dieser Autobesitzer waren männlich und weiß.


In Südafrika hatte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die nationalistische Herenigde Nasionale Party (Vereinigte Nationale Partei) die Wahlen gewonnen – und kurz darauf damit begonnen, ein System institutionalisierter Rassentrennung zu installieren, die Apartheid. So wollte man sicherstellen, dass das Land weiter fest in der Hand der weißen Minderheit blieb, die damals rund ein Fünftel der Bevölkerung ausmachte. Grob zusammengefasst lebten und leben in Südafrika zwei Gruppen Weißer: Diejenigen, die zu Hause vor allem Englisch sprechen, und diejenigen, deren Muttersprache das auf dem Niederländischen basierende Afrikaans ist – die Afrikaaner und Afrikaanerinnen. Letztere hatten das Sagen in der stramm rechten Regierungspartei und bildeten die herrschende politische Klasse im Land. Aber Afrikaans sprachen zugleich auch viele Weiße, die sich am unteren Rand der Mittelschicht mit eher einfachen Jobs über Wasser hielten. Natürlich sind die meisten Weißen in Südafrika aufgrund langer rassistischer Bevorzugung viel wohlhabender als die unterdrückten Mehrheiten mit dunklerer Hautfarbe. Aber eben nicht alle.

Und wer es sich aus der weißen, Afrikaans sprechenden Arbeiterklasse irgendwie leisten konnte, kaufte einen Ford Zephyr. Die eher schlichten Autos, die vergleichsweise günstig zu haben waren, wurden in den 1960ern und frühen 1970ern liebevoll gepflegt, mit allerlei Tand aufgemotzt und oft mit einem lässig aus dem Fenster hängenden Arm gefahren – also ungefähr so wie in Deutschland einige Jahre später der Opel Manta. Natürlich rümpfte die politische und gesellschaftliche Oberschicht die Nase über die Zephyr-Fahrer. Schließlich entsprachen die so gar nicht dem Bild vom weißen Herrenmenschen, das sie sich gern von sich selbst machte. Bald schon bekamen die Auto-Fans einen abfälligen Spitznamen verpasst, der auf ihrem bevorzugten Modell basierte: Zef. Ein klassistisches Schmähwort, ähnlich wie „White Trash“ in den USA oder „Proll“ in Deutschland.

Eben noch Bosse, jetzt Bösewichte

Erst 1994 mit der ersten demokratischen Wahl in Südafrika, die der Afrikanische Nationalkongress (ANC) gewann, der die Schwarze Mehrheit im Land vertritt, wurden die Hierarchien auf den Kopf gestellt – vor allem für die bisher herrschenden Afrikaaner und Afrikaanerinnen. Eben noch waren sie die Bosse im Land, nun galten sie als die Bösewichte, die für fast fünfzig Jahre institutionalisierte Rassentrennung verantwortlich gemacht wurden. „Im Post-Apartheid-Südafrika war ins Wanken geraten, was es bedeutet, weiß und Afrikaans zu sein“, schreiben die Sozialwissenschaftlerinnen Hannelie Marx und Viola Candice Milton von der University of South Africa in Pretoria.


Das galt auch und besonders für eine wachsende Zahl vor allem jüngerer Afrikaans sprechender Südafrikanerinnen und Südafrikaner, die schon seit Ende der Achtziger gegen den staatlichen Rassismus der eigenen Eltern und Großeltern rebelliert hatten und sich nun umso dringender von ihnen absetzen wollten. Für sie wurde die einst verschrieene Ford-Zephyr-Kultur plötzlich attraktiv: „Geschmacklose Gestalten mit Schnauzbart oder Lockenwicklern im Haar, die am Rande der Gesellschaft ihr eigenes Ding machen und dafür von Mama und Opa verachtet werden? Da sind wir dabei!“

Bald darauf spielten Protestrocker wie Johannes Kerkorrel, Bernoldus Niemand oder Koos Kombuis, die überwiegend auf Afrikaans die Missstände im Land anprangerten, satirisch mit Zef-Motiven wie übertriebenen Schnauzbärten, geschmacklosen Kleidungsstücken oder bestimmten Slang-Ausdrücken. Um die Jahrtausendwende bekannten sich dann immer mehr weiße Rapper, die Reimzeilen auf Afrikaans schrieben, zum Zef-Sein. Nahliegende Idee, schließlich blickte die Subkultur Hip-Hop auf eine lange Tradition zurück, sich selbstbewusst Schimpfwörter und abfällige Bezeichnungen anzueignen. Jetzt war „Zef!“ nicht mehr ein am heimischen Essentisch herablassend genäseltes Urteil über die Nachbarn, die sich ungehobelt benahmen. Sondern ein bewusst und stolz verwendeter Kampfbegriff: Wir sind Zef – und wollen nichts mit euch zu tun haben!


Der Afrikaans-Rapper Jack Parow etwa nannte sich nach einem nordöstlichen Vorort von Kapstadt – dort hatten sich einst viele der ursprünglichen Zefs in Straßenzügen voll einfacher Bungalows angesiedelt. Er tritt bevorzugt in Leopardenfell-Bademantel und mit einem Baseball-Cap mit absurd langem Schirm über seiner blondierten Vokuhila-Matte auf. In einem seiner Stücke taucht auch der Afrikaans-Comedian Twakkie vom Zef-Duo Corné & Twakkie auf, die stets Schweißstirnbänder und riesige Schnauzbärte tragen. Rob van Vuuren, wie Twakkie bürgerlich heißt, erklärt: „Zef gibt einer stimmlosen Generation eine Stimme, die verspottet wurde, sich schämte und über ihre Herkunft verwirrt war.“ Und tatsächlich, die Verwirrung war groß. „Wie soll ich damit leben, dass all die Worte, die zur Demütigung dienten, all die Befehle zum Töten, aus der Sprache meines Herzens stammten?“, fragt sich etwa die Afrikaans-Dichterin Antjie Krog in ihrem Buch „Country of My Skull“.

Selbstparodie als Produkt

Ein Ausweg ist für manche junge Afrikaaner und Afrikaanerinnen die mitunter beißend sarkastische Selbstparodie: So, mutmaßt der südafrikanische Dramatiker und Kulturwissenschaftler Anton Krueger, drücken sie ihre Scham und Schuldgefühle aus, schließlich haben ihre Eltern und Großeltern jahrelang den Großteil ihrer Landsleute unterdrückt. Bei all dieser aufrichtigen Betroffenheit sollte allerdings nicht vergessen werden: Solche Selbstparodien sind überhaupt nur aus einer privilegierten Position heraus möglich. Wer keinen Job hat oder vielleicht nicht mal fließend Wasser zu Hause, wird sich nur schwer selbst auf die Schippe nehmen können. Und aus Sicht der meisten Menschen mit dunkler Hautfarbe waren die Distanzierungen und Anspielungen dieser aufbegehrenden jungen Menschen sowieso bedeutungslos – schließlich standen selbst die ursprünglichen Zefs am unteren Rand der Mittelschicht sozial noch fast immer über der Bevölkerungsmehrheit. Und hilft die Selbstparodie den Künstlerinnen oder Musikern nicht auch bei ihrer eigenen Vermarktung, weil sie als „cool“ wahrgenommen wird? Zef kann auf jeden Fall auch ein Erfolgsfaktor sein.


Das zeigt der beispiellose Aufstieg der Neo-Zef-Band Die Antwoord, die 2008 in Kapstadt von einem Rapper und Produzenten sowie einer Rapperin gegründet worden war. Nach einigen eher erfolglosen Vorgängerprojekten kombinierten die beiden für Die Antwoord neben englischen Zeilen vor allem Rap-Texte in Afrikaans mit elektronischen Beats. Und trugen dazu reichlich neonfarbene oder goldene Kleidungsstücke voller „Zef“-Logos, Frisuren mit harten Rasurkanten, Gesichtsbemalungen und wirre Tattoos, wodurch sie aussahen wie Dauercamper auf Crack. Vor allem die visuell krassen Videoclips machten Die Antwoord schnell zu einem der international erfolgreichsten Musikprojekte, die je aus Südafrika gekommen sind. Geschickt ließ die Gruppe dabei stets im Unklaren, ob sie durchgeknallte Zef-Rüpel parodierten oder vielleicht wirklich keine moralischen und ästhetischen Grenzen kannten. Vermutlich wussten die beiden Bandmitglieder das selbst irgendwann nicht mehr, denn sie verstrickten sich in zunehmend hässlicher werdenden Problemen – von homophoben Äußerungen und Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung und Missbrauchs ihrer Adoptivkinder bis zu Kritik wegen kultureller Aneignung, weil sie den Rap-Stil nicht-weißer Afrikaans-Sprechender geklaut haben sollen. Jedenfalls ist es um die ehemaligen Zef-Galionsfiguren in letzter Zeit auffällig still geworden.


Viele der ursprünglichen Zefs leben auch nach dem Abflauen der Welle weiter in ihren alten Nachbarschaften, aus denen sie nie fortziehen wollten oder konnten. Einige mussten sich allerdings ein neues Zuhause suchen, weil sie wirtschaftlich noch weiter abgestiegen sind, seit ihnen keine rassistische Regierung mehr unter die Arme greift. Einen Ford Zephyr fährt niemand von ihnen mehr. Die ehemalige Familienkutsche ist inzwischen zu einem geschätzten Oldtimer gereift, den in Südafrika gleich mehrere Fanclubs pflegen – ein Sammlerobjekt für Wohlhabende.