Reportage: Das Erdöl des Ghettos

Spex

Keine andere afrikanische Großstadt tanzt zu einer dermaßen originellen urbanen Clubmusik wie Luanda, Hauptstadt von Angola, Südwestafrika: Kuduro, vor ein paar Jahren auch hierzulande kurz in den Medien, ist überall in der Millionenmetropole – und doch muss man sich lange durch die endlosen Staus der Stadt wühlen, um ihn zu finden. Eine nächtliche Suche.

Schwarzer Himmel, schwarzes Wasser. Wer an diesem Strand einschläft, sagen sie hier, den holen die Wellen und der wacht auf der anderen Seite wieder auf. Das wäre dann irgendwo in Brasilien. Aber man schläft nicht mal eben so ein an diesem Ufer des schwarzen Atlantiks. Das hier ist kein Strandidyll. Die Stadt im Rücken hat mindestens fünf Millionen Einwohner. Und wahrscheinlich ebenso viele Dieselgeneratoren, Presslufthämmer, hupende Geländewagen. Sogar jetzt weht ihr Getöse hier herüber, nachts, auf diese schmale Halbinsel, die sich vor der Stadt kilometerweit durchs Meer schwingt. Diese Stadt. Eine Drehung, und man sieht sie. Vorn die Lagune, wo die Lichter von Luxusyachten dümpeln. Dahinter Luanda, Hauptstadt der República de Angola, Südwestküste von Afrika. Ihre Glitzerskyline zackt sich in die Nacht wie eine pompöse Krone. Ganz oben als gelb-schwarz-roter Edelstein das Logo der staatlichen Ölfirma Sonangol: eine LED-Spielerei auf der Spitze des 100-Meter-Wolkenkratzers, den der Konzern vor kurzem als neues Hauptquartier bezogen hat. Das alte, wesentlich kleinere Firmengebäude zerbröckelt nebenan im Schatten.

Aber ist das wirklich nur das Dröhnen der Stadt da drüben? Ist dieses Geklapper nicht vielleicht eine Snaredrum? Ist das Wummern dort ein Bass? Ist das schon wieder diese Musik? Vielleicht nur eine Täuschung, wahrscheinlich sogar. Schließlich hat man diese Musik seit Tagen im Ohr. Aber trotzdem: zurück zum Auto und zurück in die Stadt, herausfinden, ob da was ist und woher es kommt. Natürlich wieder Stau, hier ist immer Stau, auch nachts, und natürlich mischt sich in das ewige Gehupe jetzt wirklich diese Musik, gespielt vom örtlichen Radiosender Rompimento FM.

Diese aus den lärmenden Eingeweiden Luandas geborene Musik, von der hier die Rede ist, heißt Kuduro: Slangausdruck für „harter Arsch“, elektronische Tanzmusik aus Afrika, ziemlich schnelle, stets ein bisschen schrottig klingende Breakbeats mit Snaregeprassel, dazu quäkende Raps auf Portugiesisch, der Sprache Angolas. Man erinnert sich vielleicht an die Berichte hierzulande vor ein paar Jahren. Damals hatte Kuduro einen kurzen Auftritt in Europa, dank Frederic Galliano sowie bald darauf den portugiesischen Buraka Som Sistema, die diese Musik für den westlichen Geschmack zugleich sowohl abgemildert als auch aufgebretzelt haben. Sie war dann schnell wieder verschwunden aus Europa, zu gewöhnungsbedürftig wahrscheinlich. In Luanda jedoch brodelt Kuduro weiter. Er ist der Sound dieser Stadt, immer noch, vielleicht für immer, ständig, tags wie nachts.

Eben darum ist Luanda auch eine Station im Großprojekt Ten Cities, für das das deutsche Goethe-Institut zurzeit Elektronikmusiker aus fünf afrikanischen und fünf europäischen Städten für gemeinsame Musikaufnahmen hin- und herschickt: auf der Suche nach produktiven Kurzschlüssen zwischen Szenen und Genres. Sie hat nun auch einen Tross Europäer, Journalisten und Musiker, hierher gebracht, neugierig und erwartungsvoll. Schließlich hat sich in keiner anderen afrikanischen Großstadt eine – aus europäischer Perspektive – dermaßen originelle urbane elektronische Tanzmusik etabliert wie in Luanda, Angola. Woanders auf diesem Kontinent produzieren sie lahme US-HipHop-Verschnitte oder kopieren mehr schlecht als recht seit Jahren Masters At Work, wenn die Großstadtjugend in den Clubs unterhalten werden möchte. Funktionsmusik. Auch Kuduro ist zuallererst mal funktionale Musik zum Tanzen. Und er stellt – in einer Gesellschaft, die kein soziales Netz kennt – manchen Menschen die tägliche Portion Reis und Bohnen auf den Tisch. Aber Kuduro ist dabei doch anders. Keine Kopie von irgendwas.

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Möglicherweise ist der Krieg, bekanntlich Vater aller Dinge, auch dafür verantwortlich. Weil er das Land jahrzehntelang fast komplett von der Globalisierung abgeschnitten hat – und damit auch von der Popglobalisierung. Direkt nach der Unabhängigkeit vom Kolonialland Portugal hatte sich Angola 1975 in eine afrikanische Version des 30-jährigen Kriegs gestürzt. Dabei metzelten sich, grob vereinfacht gesagt, die verschiedenen Befreiungsgruppen, die eben noch erfolgreich gegen die Kolonialmacht gekämpft hatten, plötzlich gegenseitig ab. Zwischen einer halben und einer Million Menschen kamen dabei ums Leben. Am Ende, vor gerade mal elf Jahren, war das ganze Land zerschossen, zerbombt, vermint, und die ehemalige Bürgerkriegspartei Movimento Popular de Libertação de Angola, kurz MPLA, hatte gewonnen. Offiziell ist die Partei sozialistisch, und in ganz Luanda rühmen Wandmalereien noch immer Industriearbeiter und das Sturmgewehr AK-47, oder sie deklamieren Slogans wie: „Agricultura é a base, a indústria o factor decisivo“ („Die Landwirtschaft ist die Basis, die Industrie ist der entscheidende Faktor“).

An der Spitze der MPLA, der Regierung, des Staates und der Armee steht heute der ehemalige Befreiungskämpfer José Eduardo dos Santos. Wenn er anrollt, werden in Luanda komplette Viertel abgeriegelt, der ohnehin staugeplagte Verkehr kollabiert stundenlang. „Genosse Präsident“, wie er sich nennen lässt, rauscht dann mit einer ganze Flotte schwarzer Mercedeslimousinen vorbei. Davor und dahinter Pickups, schwere Maschinengewehre auf dem Dach, Soldaten mit Skimasken auf der Ladefläche. Diese starken, aber doch eher unsozialistischen Auftritte sind finanziert vom Erdöl: Angola ist zusammen mit Nigeria der größte Ölproduzent Afrikas, das schwarze Gold ist für fast die komplette Wirtschaftsleistung des Landes verantwortlich. Im Flugzeug von Europa nach Angola sitzen denn auch außer ein paar Nutten und einer Nonne fast nur Ölindustriemänner: massige Körper in Longsleeves, verwaschene Tätowierungen, Schlangenblicke, Schnauzbärte, der Typ Mensch, der von Geld angezogen wird. Sinnigerweise prangt auf dem angolanischen Geldschein für 50 Kwanza, wie die örtliche Währung nach einem großen Fluss heißt, eine Bohrinsel.

Das ist für viele Angolaner allerdings der einzige Kontakt zum Ölgeschäft. Denn das autoritär regierte Angola gehört zu den korruptesten Ländern der Welt, auf Augenhöhe etwa mit Somalia. Das viele Geld landet in den Taschen weniger. Zurzeit kaufen der Präsident und seine Familie im ehemaligen Sklavenhalterland Portugal reihenweise Luxusimmobilien, Banken, Weingüter oder Telekommunikationsunternehmen auf – was einem auch nicht-wohlhabende Angolaner mit einem gewissen Grinsen erzählen. Außerdem deckt sich Angola in Portugal mit Lebensmitteln ein, weil im Land immer noch viele Felder vermint sind und die Infrastruktur in Trümmern liegt. Darum, wegen der Korruption und weil die Ölfirmen jeden Preis zahlen, ist Luanda übrigens für Europäer, die nicht auf gewohnte Lebensstandards verzichten möchten, eine der teuersten Städte der Welt. Teurer als New York oder Oslo und nur knapp hinter Tokio. Ein Bier kostet umgerechnet neun Euro, ein mittelgroßes Appartement auch mal 15.000 Euro. Im Monat, nicht im Jahr.

Allerdings: Hinter der Glitzerfassade ist das Land noch immer eins der ärmsten der Welt. Während die einen Hummer essen, würden die anderen, nämlich jeder dritte Angolaner, ohne Lebensmittelspenden aus den Industriestaaten schlicht verhungern. Inspiriert vom arabischen Frühling gingen Anfang 2011 hier, wenn auch letztlich erfolglos, Menschen auf die Barrikaden. Der Soundtrack dazu: klar.

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Irgendwo in dieser Stadt, zwischen all ihrem Krach und Ruß, spielt diese Musik auch jetzt. Also runter von der Halbinsel und die Marginal entlang: eine Uferpromenade mit Palmen sowie ein paar ein paar ungewöhnlichen Features für eine afrikanische Großstadt. Gleißende Straßenbeleuchtung, Mülleimer, die geleert werden, tatsächlich Fußgängerampeln sowie dem vermutlich einzigen Radweg von hier bis runter nach Kapstadt. Die sechsspurige Renommier-Straße sieht aus wie Miami Beach. Mit dem Unterschied, dass die meisten Zubringerstraßen Schlaglochpisten sind. Weshalb sich manche Neureiche ihren Ferrari mit einem Lastwagen hierher karren lassen, um ihn ein bisschen auf und ab zu fahren.

Rechts ab in die Innenstadt. Durch eine Mischung aus runtergekommenen Plattenbauten, an denen Klimaanlagenkästen entlangmetastasieren, Häusern aus den Sechzigern, die in verschiedenen Stilen des klassischen Modernismus erbaut wurden, sowie verwitterten Kolonialgebäuden mit geschwungenen Torbögen. In einem davon das Elinga Teatro: ein Club mit Graffiti an den Wänden und Ateliers nebenan, in dem nur der Open-Air-Dancefloor darauf hinweist, dass man hier nicht in Berlin ist. Das Gebäude steht zwar unter Denkmalschutz, soll aber trotzdem bald abgerissen werden: Hier entsteht demnächst ein Luxuswohnhaus. Wie überall in der Stadt die alten Häuser eins nach dem anderen plattgemacht werden. Dann tauchen mürrische chinesische Bauarbeiter in Overalls auf, in orange oder lila samt passenden Helmen, und ziehen ein weiteres Glitzer-Hochhaus hoch. Ganz Luanda ist eine Baustelle.

Und ein endlos sich windender Stau. Der besteht in der Innenstadt quasi ausschließlich aus brandneuen japanischen SUVs. Dazwischen Straßenhändler, die von Kartoffelchips bis Kloschüsseln komplette Supermarktsortimente auf dem Kopf tragen. Und Schwärme von Candongueiros, weiß-blauen Minibus-Taxis, immer dasselbe Modell, Toyota Hiace, auf der Seitentür Plakate für die nächste Kurudo-Veranstaltung oder Slogans wie „A vida é festa“ – das Leben ist eine Party.

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So klein wie die Oberschicht ist auch die Innenstadt Luandas, umspült von einem endlosen Meer aus Wellblechhütten und flachen Steinbauten. Ganze Straßenzüge sind auf Müllbergen errichtet, in der Regenzeit säuft alles ab. Hier draußen, in den ärmeren Vierteln der Musseques, was „roter Sand“ in der lokalen Sprache Kimbundu heißt, begann Ende der Achtziger Kuduro. Also noch mitten im Bürgerkrieg. Presidente Gasolina und Principe Ouro Negro, die beiden Moderatoren der beliebten Kuduro-Fernsehsendung „Sempre a subir“ („Immer nach oben“), erinnern sich noch an Kämpfe und Flucht. „Das hat uns zu einem eher aggressiven Musikstil gebracht“, sagt Presidente Gasolina. „Gesang und softe Musik ziehen uns nicht so an. Es muss krachen.“

Zunächst war Kuduro vor allem ein Tanz, erschaffen vom ehemaligen Tanzlehrer und Michael-Jackson-Double Tony Amado, der gerade aus der Provinz in die Stadt gekommen war. Angeblich hatte ihn der gute Jean-Claude Van Damme dazu inspiriert, der im Film „Kickboxer“ (1989) in einer Szene betrunken in einer Bar tanzt. 1996 veröffentliche Amado dann das Lied „Amba Kuduro Mamá“ („Tanz den harten Hintern, Mama“) samt zugehöriger Tanzschritte. Heute besteht Kuduro meist aus einer Mischung aus traditionellen Schritten, etwa vom akrobatischen Karnevalstanz Kazukuta, theatralischen Elementen sowie auch Breakdance, Clowning und Krumping.

Ebenso wie der Tanz ist auch die Musik Kuduro, die sich bald als eigenständiges Genre etablierte, eine Mischung aus traditionellen und importierten Formen: House und Techno treffen bei schnellen 130 bis 150 BPM auf angolanische Rhythmen wie Semba oder Kizomba. Gerappt wird dazu auf Portugiesisch oder Calão, einer Kreolsprache mit Bestandteilen aus Kimbundu und Portugiesisch. Es ist eine Energieform, die von der jungen Generation nutzbar gemacht wurde, um die Codes der Ahnen nicht zu vergessen, sagen manche. „Es ist europäische House-Musik, die mit Elementen aus Afrika kontaminiert wurde“, sagt Jomo Fortunato, 51, der bekannteste Kulturkritiker Angolas. Und dabei ziemlich Punkrock. So verzerrt etwa der Endzwanziger DJ Satelite die Bassdrums seiner Kuduro-Tracks absichtlich und lässt seine MCs Gesangsspuren über Raummikrofone zu Backingtracks einbrüllen. „Die Angolaner“, sagt er, „haben den Kick gern heftig.“

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Lange war Kuduro der Underground von Luanda. Wurde nur in den Musseques an Straßenecken gehandelt, über die blechernen Soundsysteme der Candongueiro-Taxis verbreitet, über Bluetooth-Verbindungen von Mobiltelefonen getauscht. Cabo Snoop, einer der größten Stars der aktuellen vierten Welle von Kuduro-Produzenten, hat sein Hitalbum darum „Bluetooth“ genannt. Bei der nächtlichen Tour durch Luanda taucht er plötzlich auf, in Ghostbuster-T-Shirt, lila Skinny Jeans, mit einem von Smarties besetzten Gürtel und einer USA-Flagge um den Kopf. Oft erinnert der Kuduro-Look heute an den von New-Rave in Europa Mitte der nuller Jahre: bunte Riesen-Brillengestelle, blondierte Iro-Streifen im Haar, flamboyant, teilweise regelrecht queer, was in den traditionell meist homophoben afrikanischen Gesellschaften nicht besonders häufig vorkommt. Aber Kuduro ist jetzt ja auch global angebunden: Die Kuduristas haben in den Musseques zwar oft kein fließend Wasser, aber Internet und Satelliten-TV. Einige von ihnen entwickeln Kuduro gerade mit einer kräftigen Prise Daddel-Deephouse weiter: zu Ku-House, wörtlich genommen „Hinternhouse“ – „duro“, das Harte, fehlt also.

„Und die Politik nutzt jetzt Kuduro für sich, Regierung wie Opposition, weil sie damit die jungen Leute erreichen“, erklärt Otiniel da Silva, den, weil sein Name so ungewöhnlich ist, jeder „Mano“ nennt, was einfach nur „Typ“ bedeutet. Der 37-Jährige arbeitet als, wie er sagt, „soziokultureller Aktivist“. Was vor allem heißt, dass er, wie fast jeder hier, einen Haufen Jobs hat: Kurator, Lehrer in sozialen Projekten, Konzertveranstalter, Ausstellungsmacher. Kuduro, eben noch vom Establishment verachteter Proletensound aus den Armenvierteln, gilt jetzt als Visitenkarte für das moderne Angola. Afrikanisch und hip zugleich. Die Agentur des Präsidentensohnes Coreón Dú hat denn auch gerade Kuduro-Gigs mit Musikern und Tänzern in europäischen Städten organisiert, 2011 in Berlin, 2012 in Stockholm, Amsterdam und Paris. Sogar regelrecht staatstragenden Kuduro gibt es mittlerweile. So lässt sich der populäre Kudurista Dog Murras Gerüchten zufolge von einem Militärgeneral sponsern. Und im Booklet der CD „Dança Ventoinha“ des Projekts Os Amigos de Angola („Die Freunde Angolas“), auf der sich auch ein paar Kuduro-Tracks befinden, ist der Produzent Rei Helder zu sehen, wie er mit dem Präsidenten und dessen Gattin plaudert oder devot grinsend seine CD an Schlipsträger verteilt.

Die Regierungspartei MPLA muss widerborstige Kuduristas dabei oft gar nicht einschüchtern. Sie kaufen sie einfach, erzählt ein Ranghoher beim Abendessen: extravaganten Pizzakreationen mit Stockfisch und Zimt sowie brüllend scharfer Soße. Dazu südafrikanischer Mittelklasse-Rotwein, der hier 100 US-Dollar die Flasche kostet. Der Strom ist gerade mal wieder ausgefallen, die Generatoren ringsum verbreiten infernalischen Krach und erzeugen pulsierendes Licht. Ziemlich psychedelisch.

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„Man muss berücksichtigen, dass man in einem Land wie dem unseren eben nicht gut über alles sprechen kann“, sagt der Kuduro-Produzent und -MC Sacerdot. „Aber ich habe nie Angst, das zu schreiben, was ich fühle.“ Sacerdot, 27, klein und dunkel, lächelt selten, denkt aber viel. Sein Künstlername heißt übersetzt „Priester“, was ziemlich gut passt. Ursprünglich wollte er mal Journalist werden. „Aber die Informationen müssen dann in einen Schönheitssalon, bevor sie ankommen“, sagt er. In seiner Musik könne er dagegen direkt zu den Menschen sprechen. „Mit Kuduro erreichen die Leute hier im Ghetto etwas“, erklärt er. „Das sind Menschen, bei denen nichts vom Erdölgeld ankommt. Aber mit Kuduro haben sie Erfolg, sie können reisen oder sich ein gutes Auto kaufen. Kuduro ist darum das Erdöl des Ghettos.“

Sacerdots „Ghetto“, wie er es selber nennt, ist die Innenstadt-nahe Musseque Sambizanga. Das Ende der Suche. Das Ziel der Fahrt. Denn hier läuft jetzt gerade eine Festa de Quintal, eine private Hinterhof-Party: vielleicht 60 Menschen tanzen auf gestampftem Lehm zu Kuduro, Kinder, Erwachsene, sogar ein älterer Herr wippt ein bisschen mit. Unter einem kleinen Überdach ein paar Laptop-DJs, daneben Stereoanlagen-Boxen, total übersteuert, aber sie übertönen den klapprigen Generator nebenan. Die Gastgeberin Lucia drückt den Überraschungsgästen sofort einige Dosen Cuca in die Hand, das lokale Bier. Die Stimmung: euphorisch, aber nicht selbstzerstörerisch. Es raucht fast niemand. Als hätten die Menschen beim alles beherrschenden Öl-Business eins gelernt: Ein Funke, und hier fliegt alles in die Luft.

Die Party, lange gesucht, endlich gefunden, zehrt Energie. Darum zum Abschluss der Nacht noch ein Essen auf einem Dach: ein informelles Restaurant in einem alten Haus, im Hof ein kleiner Grill, davor eine Schlaglochstraße ohne Licht, auf der eine endlose Reihe von Tankzügen, Zementlastern, Traktoren und schweren Baufahrzeugen vorbeirumpelt. Es gibt Süßwasserfische, deren Gattungsnamen niemand kennt, aus dem nahen Fluss Kwanza. In den Bäumen ringsum schlafen Schwärme hellblauer Riesenvögel, was das Gehirn erst nach mehrmaligem Hinsehen versteht. Als hätten sich die hellblauen Candongueiro-Taxis nachts verwandelt, um hier Pause zu machen. Und für einen kurzen Augenblick herrscht tatsächlich mal Ruhe.