Die alte Dame aus Afrika warf einen Blick aus dem Fenster ihres Sohns, und ihr Urteil war harsch. Vor ihr lag ein Viertel aus dreistöckigen Gründerzeitbauten in einer deutschen Stadt, grün, ruhig, nett hier. Sie stand in einer Altbau-Wohnung, Holzdielen, warme Farben, ziemlich gemütlich. Doch die alte Dame fühlte sich – so schimpfte sie beim Blick aus dem Fenster – wie im Knast. Wie der Sohn das nur aushalten könne, alle Fenster und Türen geschlossen, null Kontakt zu den Nachbarn auf der anderen Straßenseite, und überhaupt: keine Menschenseele da draußen, nur Vorgärten, Bäume und geparkte Autos!
Verwunderlich? Verständlich. Man kann sich schließlich kaum einen größeren Gegensatz vorstellen als den zwischen Lübeck, wo die alte Dame damals ihren Sohn besuchte, gegründet im achten christlichen Jahrhundert, pittoreske Hansestadt, heute ein paar mehr als 200.000 Einwohner – und dem Ort, an dem sie sonst wohnt: Abidjan, Metropole der République de Côte d’Ivoire in Westafrika, mehr als zwanzig Mal so groß wie Lübeck und doppelt so dicht besiedelt, brüllend voll, brüllend laut, brüllend schwül. Man muss ein bisschen suchen, bis man eine Gemeinsamkeit findet. Vielleicht diese: Dort wie hier regnet es häufiger mal – allerdings dort, im Golf von Guinea, tropisch warm, hier, nahe der Ostsee, meist eher nieselig kühl.
Aber was sollte sie machen? Ihr Sohn war nun mal vor rund zwanzig Jahren in Lübeck gelandet, also war sie angereist, um nach dem Rechten zu sehen. Diesen Sohn hatte sie bei dessen Geburt 1976 im französischsprachigen Côte d’Ivoire mit vollem Namen Konan N’da Kouassi Raoul getauft. In Europa kann man den Mann allerdings auch Raoul Konan nennen. Oder, noch einfacher: Mr. Raoul K. Unter diesem Namen veröffentlicht der gebürtige Ivorer nämlich seit einigen Jahren Platten mit tiefgründigem House, dessen Seele aus dem Mutterland repetitiver Tanzmusik stammt – eine Verbindung, die zwar ziemlich naheliegend ist, die aber trotzdem nur wenigen so schlüssig gelingt wie ihm. Exotismus ist bei Mr. Raoul K so weit weg wie Abidjan von Lübeck.
Trotzdem, oder gerade deswegen, ist Konan dabei im besten Sinne eine Randfigur elektronischer Tanzmusik. Seine House-Platten sind bei Kennern hochbegehrt, aber eben vor allem bei Kennern. Er ist zwar als DJ und Produzent ein Profi, aber wahrlich kein Hipster, hat sich bereits von den House-Legenden Ron Trent und Joe Claussell remixen lassen, aber er hat nicht mal ein Management. Und er macht all das von Lübeck aus, quasi also am Rande Deutschlands. Weil er mal einer Frau wegen in der Stadt gelandet ist und hier nun mit seinem Sohn lebt, der mit 13 Jahren erst mal die Schule fertig machen soll. Und weil er die Abgeschiedenheit auch irgendwie mag, die Konzentration, das ruhige Arbeiten aus dem Abseits. »Lass uns schnacken«, sagt Konan, als er sich in seiner Wohnküche hinsetzt, um all das zu erklären. Und er sagt es mit einer ziemlich nach 21. Jahrhundert klingenden Mischung aus norddeutschem Twäng und ivorischem Akzent, eine so hybride Zusammensetzung, wie sie die Postmoderne heute überall auf der Welt produziert. Aber von vorne.
Auf eigene Faust
Raoul Konan ist gerade mal 16, als er 1992 zusammen mit seinem Zwillingsbruder Modeste nach Deutschland kommt, »als Asylant«, wie er selbst sagt. Geboren wurden die beiden in der ivorischen 200.000-Einwohner-Stadt Agboville, wo der Vater als Lehrer die Familie in die Mittelschicht gehoben hatte. Aber die Brüder wollten erfolgreiche Fußballer werden, also zogen sie schon mit zwölf auf eigene Faust rund 80 Kilometer südwärts, in die riesige Hafenmetropole Abidjan, wo die großen Clubs des Landes sitzen. Ihr Vaterland Côte d’Ivoire – das sich offiziell dagegen verwahrt, »Elfenbeinküste« genannt zu werden, darum die Fremdsprachenhuberei – lebte Jahrzehnte lang gut vom Export von Kakao und Kaffee, Ananasfrüchten und Palmöl. In den Sechziger- und Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts zog es als wirtschaftliches Powerhouse des frankophonen Afrikas Gastarbeiter aus dem gesamten westafrikanischen Umland an, aus Burkina Faso, Mali oder Guinea.
Doch Anfang der Neunziger wird Staatspräsident Félix Houphouët-Boigny, der das Land seit der Unabhängigkeit regiert hatte, krank und schwach, seine Herrschaft bröckelt, Aufruhr liegt in der Luft, Schulen und Geschäfte sind geschlossen. Also spendiert ein älterer Bruder, der selbst durch einige Zufälle in Deutschland gelandet war, den Zwillingsbrüdern ein Flugticket. Eine Reise ins Ungewisse: Sie landen in Hamburg, es ist kalt, abweisend, seltsam. »Wir wussten absolut nichts über dieses Land, als wir herkamen«, erinnert sich Konan.
Das ändert sich ab jenem Tag, an dem er und sein Zwilling in identischen Klamotten und mit identischen Frisuren am Hamburger Rathaus rumhängen. Ein älteres deutsches Akademiker-Ehepaar, die Frau Französischlehrerin, der Mann Architekt, will die beiden niedlichen Afrikakinder fotografieren, man kommt ins Gespräch. Endlich mal jemand, mit dem sich die beiden Jungs, die kein Wort Deutsch sprechen, unterhalten können! Die Herrschaften wollen Abzüge der Fotos vorbeibringen, sie schreiben sich brav die Adresse der Jungs auf: Asylantenheim, Hamburg-Ohlsdorf. »Als sie da waren, waren sie total entsetzt und sagten, sie müssten uns sofort dort rausbringen«, erzählt Konan. Die Minderjährigen wohnen mit Erwachsenen zusammen in einem Zimmer, zwielichtige Gestalten hängen rum, Drogen kursieren. Auf Betreiben ihrer Bekanntschaften wechseln die Konan-Zwillinge in eine Einrichtung für betreutes Wohnen, sie gehen zur Schule und lernen Deutsch.
Allerdings haben die beiden bald auch Streit mit ihren Zieheltern. Aus blöden Gründen: weil die Brüder zu Verabredungen eine Stunde zu spät kommen, weil sie den selbstgebackenen Kuchen der Frau nicht mögen und unterm Sofa verstecken, und weil die älteren Herrschaften unterm Strich ihre Zuneigung nicht erwidert finden. »Es war nicht so, dass wir diese Liebe nicht zurückgeben wollten«, sagt Konan heute, »aber wir waren damals noch viel zu afrikanisch. Wir haben gar nicht verstanden, was die für Probleme hatten.« Irgendwann bricht der Kontakt ab – inzwischen sprechen sie wieder miteinander. »Wir haben Glück gehabt«, sagt Konan über seine zufälligen Quasi-Zieheltern. Schließlich hätten die Jungs genau so gut wie viele andere von damals, die keine andere Einkommensquelle finden, im Park landen und dort Gras an Europäer verkaufen können.
Schon eine Woche nach seiner Ankunft in Deutschland hat Konan eine feste Freundin, eine Deutsche. Fünf Jahre später heiraten die beiden, er darf legal bleiben – und vor allem endlich arbeiten, was einem als Asylbewerber in Deutschland ja absurderweise untersagt ist. Weil ihm seine frischgebackenen Schwiegereltern sagen, man sei hierzulande nur jemand, wenn man einen Beruf erlerne, beginnt Konan 1998 eine solide betriebliche Ausbildung zum Schreiner. Parallel dazu spielt er weiter Fußball, wird bei einem Turnier von einem Talentscout entdeckt – und kickt in den folgenden Jahren in Schleswig-Holsteins Amateurligen, bei Vereinen wie dem Eichholzer SV, dem VfL Oldesloe oder Concordia Hamburg. Probleme mit dem Knie zwingen ihn zwar dazu, die Karriere auf gehobenem Amateurniveau zu beenden. Aber danach ist der Deal mit kleineren Vereinen immerhin: Ich spiele bei euch, wenn ihr mir vor Ort einen Job als Schreiner besorgt. So integriert sich Konan auf dem platten norddeutschen Land quasi selbst. Und nachdem er sich irgendwann scheiden lässt, lernt er die künftige Mutter seines Sohns kennen, wegen der er sich dann 1998 in Lübeck niederlässt, among all places.
Die nächste Reinkarnation
Das Ende der Fußballkarriere ist für Konan nicht nur das Ende eines Traums, sondern auch eines Lebensmodells. Aber es wartet ja – nach Asylbewerber, Schreiner, Fußballer – schon die nächste Reinkarnation. Denn seine damals neue Freundin nimmt ihn 1998 mit nach Berlin zur Loveparade – und hier kommt er zum ersten Mal wirklich intensiv mit Musik in Kontakt. »Fand ich gut«, sagt Konan. »Erst mal gar nicht so sehr die Musik, aber alle waren gut drauf, diese Stimmung. Da habe ich gesagt, das möchte ich auch machen. Ich möchte DJ werden.« Hochgezogene Augenbrauen seiner Freundin, skeptischer Blick. Konan aber besorgt sich Plattenspieler, Mischpult und ein paar House-Platten, fußballert und schreinert tagsüber, übt abends Auflegen und macht nachts in der Lübecker Mainstream-Disko Red Zone seine ersten Schritte als House-DJ. Zudem bildet er sich in einem Studio zum Tontechniker fort.
»Dann habe ich zum ersten Mal eigene Tracks produziert«, erzählt Konan in seiner Wohnküche. »Aber die haben sich angehört wie von jedermann. Nicht schlecht, aber auch nicht besonders.« Nur: Wo findet er etwas Besonderes? Er entschließt sich dazu, zurückzufliegen nach Abidjan, dort westafrikanische Instrumente aufzunehmen und die in seine Musik zu integrieren. Kurz gesagt: Der Trip geht in die Hose, sie ziehen Raoul Konan ab, fast wie einen Europäer. Er bezahlt Geld. Für ein Studio, für Musiker, wird aber nur vertröstet, und am Ende reist er unverrichteter Dinge wieder ab. Im Flugzeug auf dem Rückweg aber sagt er zu seiner Freundin: »Das kann es nicht gewesen sein. Ich fliege noch mal hin.« Klar hält sie ihn für verrückt, doch dieses Mal klappt es: Angetrieben von dem für ihn typischen unerschütterlichen Glauben an sich selbst, einem klar grundierten Selbstbewusstsein, das sich nicht in Arroganz äußert, sondern in einer ruhigen, ausgeglichenen Art, legt Konan in Abidjan den Grundstein für seinen weiteren musikalischen Werdegang.
Im Jahr 2008 erscheint die erste Platte von Mr. Raoul K, die EP Le Cercle Peul, nach dem Volk der Peul, auch bekannt als Fulbe oder Fulani, aus deren Kultur er sich viele Instrumente und Melodien leiht. Konan veröffentlicht sie auf einem neugegründeten eigenen Label, Baobab, benannt nach dem Affenbrotbaum, Wasser-, Nahrungs- und Schattenspender im gesamten Subsahara-Afrika. Auflage: 500 Stück, ganz ohne Vertrieb und Ahnung, die Kartons lagern ein halbes Jahr in seiner Lübecker Wohnung. Doch irgendwann darf er ein paar Kopien in die Fächer seines Hamburger Lieblingsplattenladens Underground Solution stellen. Nach drei Wochen sind sie ausverkauft, und er presst insgesamt noch drei Mal nach. Es folgen Veröffentlichungen beim legendären Chicagoer House-Label Still Music sowie bei den Tokiotern Mule, die 2011 auch sein Debütalbum herausbringen: Introducing My World. Die Sache kommt ins Rollen. Im vergangenen Jahr ist sein drittes Album erschienen, Still Living in Slavery (siehe Spex #355).
Über all diese Veröffentlichungen hinweg beschreibt Konans Musik eine eindeutige Richtung: immer weiter weg von Europa und den USA, weg von etablierten House-Konventionen, zurück nach Afrika – oder sogar ganz raus aufs offene Wasser. So dreht Konan immer weiter die Bassdrum raus, arbeitet immer eigenwilliger mit Klangquellen, die er in Abidjan aufnimmt, ohne in, wie er selber sagt, »neokolonial-folkoristische Fallen« zu tappen. Kein Kitsch, nicht nur »Afro-House« mit Ornamenten über Bassdrums, sondern Musik, die schon in der Substanz nach Westafrika klingt, in den Sounds, in den Rhythmen. Oder genauer gesagt: nach nördlichem Westafrika. Denn eher noch als in Côte d’Ivoire findet Konan seine Sounds in Traditionen, die aus dem im Norden gelegenen Nachbarland Mali stammen. Einer seiner Brüder hatte früher eine Freundin aus jener Region, die hat ihre Kassetten mitgebracht, und so hat ihn wohl die Musik von dort geprägt, als er noch klein war, Salif Keita, Ali Farka Touré, Toumani Diabaté, die Klassiker.
Côte d’Ivoire dagegen ist im Westen heute vor allem für Coupé-Décalé bekannt, ein grandios hingerotzter HipHop-Hybrid mit Bling-Bling-Rappern, die auf Französisch damit angeben, wie viel Geld sie illegal aus Europa abzocken, angeblich. Fast so wie die Typen mit dem Studio, auf die Konan damals in Abidjan reingefallen war. Auf seinem zweiten Album, Mande, hat er zum Spaß mal einen Coupé-Décalé-Track veröffentlicht. Eigentlich aber findet er Côte d’Ivoires global bekanntesten aktuellen Musikexport zu billig.
Unterm Dach
Konans Musik entsteht heute in seinem kleinen Studio unterm Dach über jener Wohnung, die Frau Mama damals als »Gefängnis« empfand. Eine Holztreppe rauf, quer durch einen Dachbodenraum mit Wäscheleinen, dahinter ein Zimmer mit Dachschrägen, rotem Teppich, braunen Holzbalken, im Sommer brüllend heiß, im Winter bitterkalt. Mittendrin ein alter PC, ein Mixer und einige Synthesizer, ringsum westafrikanische Instrumente wie eine Wassertrommel, Koras, Mbiras und Sekeres sowie gleich fünf Balafone. Darauf kann Konan inzwischen die Basics selber einspielen. Wenn es ein Solo sein soll, fragt er jemanden in Abidjan. Allerdings muss er sich jetzt einen neuen Ansprechpartner suchen, denn der Mann seines Vertrauens ist selbst gerade auf dem Weg nach Europa, illegal, die harte Tour. Laut letzten Informationen hält er sich zurzeit irgendwo in Griechenland versteckt.
In seinem Studio über den Dächern Lübecks ist Konan momentan ziemlich beschäftigt. So bearbeitet er mit seinem Bruder im Geiste, dem House-Produzenten Kuniyuki Takahashi vom Tokioter Mule-Label, sowie mit dem japanischen Trance-Produzenten Kaito Aufnahmen von traditioneller japanischer Musik. Er empfindet diese alten Instrumente als klanglich denen aus Westafrika verwandt. Zudem will Konan seine Musik live umsetzen – und zwar lieber für Jazzfestivals als für House-Open-Airs. Nur ist es nicht leicht, in Deutschland passende Musiker dafür zu finden, die dann auch noch genügend Spielraum haben, erst mal ein paar Monate zu proben, bevor Gagen eintrudeln. Außerdem plant Konan Kooperationen mit Oumou Sangaré und Fatoumata Diawara, Sängerinnen aus Mali, die in Westafrika und auf europäischen »Weltmusik«-Festivals ziemlich erfolgreich sind. »Ich bin immer noch am Anfang«, sagt Konan, der auf eine sanfte Art unerschütterlich an sich selbst zu glauben scheint, »es gibt noch so viel zu tun.«
Und nicht zuletzt ist Mr. Raoul K auch noch als DJ unterwegs, von Amsterdam bis Paris, von Bukarest bis Tiflis. Und obwohl er da auch mal in traditionellem ivorischem Dress aufläuft, spielt er dann, ausschließlich von Vinyl, gern geradlinigen Berghain-Techno – eine Kombination von Optik und Sound, die im Publikum vermutlich einige Vorurteile und Erwartungen über den Haufen wirft. Für seine DJ-Karriere hat Konan 1997 sogar seine Nationalität aufgegeben: »Ich bin Deutscher geworden, als ich wusste, dass ich bald international unterwegs sein würde«, sagt er. Da hilft ein Schengen-Pass – auch wenn er nur ungern auf den ivorischen verzichtet hat.
Eindeutigkeit gibt es nicht
Denn: Das deutsche Staatsangehörigkeitsgesetz verlangt zwar Eindeutigkeit – aber in der Realität gibt es die natürlich nicht. »Im Herzen bin ich noch Ivorer«, betont Konan. »Andererseits bin ich inzwischen auch ganz schön deutsch geworden und schaue auf die Uhr, wenn ich eine Verabredung habe.« Kein Wunder, sagt er, schließlich hab er ja schon die Hälfte seines Lebens in Norddeutschland verbracht. Ähnlich zwischen den Stühlen sitzt denn auch Konans Musik: Ein Europäer empfindet sie vielleicht als »afrikanisch«, die Verwandten in Abidjan kommen damit aber gar nicht so gut klar – ist ihnen zu maschinell, zu »westlich«. »Was soll ich machen?«, fragt Konan und grinst: »Ich bin halt gelernter House-Musiker.«
Apropos »Lernen«: Raoul Konans Zwilling Modeste hat damals eine solide deutsche Maurerlehre absolviert – mit dem festen Plan, sich in Abidjan ein ordentliches Haus zu bauen. Er ist vor kurzem zurückgekehrt, zum ersten Mal in ihrem Leben sind die beiden Brüder nun getrennt. Doch Modeste wollte sich auch um die Verwandten vor Ort kümmern. Der Vater war vor fünf Jahren in Abidjan ums Leben gekommen, als nach einer schiefgelaufenen Wahl Bürgerkrieg herrschte. Damals stritten der Herausforderer Alassane Ouattara und der zu dieser Zeit noch amtierende Präsident Laurent Gbagbo, der jetzt in den Niederlanden vor dem Internationalen Strafgerichtshof steht, um die Macht. Ouattaras Rebellen hatten den Vater verdächtigt, zu Hause Waffen zu verstecken. Der Mann war krank, Medikamente gab es nicht, die Kämpfer haben ihn geschlagen, schließlich ist er an den Folgen gestorben.
Raoul war seitdem nicht mehr da, und er vermisst es. Wenn er samstagabends mal raus aus dem Studio möchte und ein Bier trinken gehen will, zum Beispiel, dann weiß er in Lübeck nicht recht wohin. »In Afrika sind alle immer draußen und klönen«, sagt er, und er sagt wirklich: »klönen«. Inzwischen kann er sich darum auch vorstellen, mit seiner aktuellen Freundin wieder in ein afrikanisches Land zu ziehen. Das Leben ist dort nicht so teuer, es gibt weniger Terminstress, es liegt mehr Soul in der Luft, ein Klischee mit wahrem Kern. Mali vielleicht oder Mosambik?
Andererseits aber käme Konan vielleicht aus Deutschland gar nicht mehr so leicht weg, wie er denkt. Er hat Wurzeln geschlagen. So schwärmt er davon, wie schön es ist, im Sommer an einem der nahen Ostseestrände zu liegen. Sein 13-jähriger Sohn, den er privat im Fußball unterrichtet, wird vom HSV umworben. Und Konan selbst arbeitet nebenbei als Jugendtrainer beim »Verein für Bewegungsspiele Lübeck von 1919 e.V.« – kurz VfB Lübeck. Heute ist mal wieder Trainingstag. Also zieht sich der Houseproduzent Mr. Raoul K schnell noch die Trainingsjacke mit den Frakturschrift-Buchstaben des Vereins auf grün-weißem Grund über, streicht sich die Dreadlocks aus dem Gesicht, umarmt einen zum Abschied sehr fest und verschwindet dann, mit einem letzten Winken, auf dem Gelände des altehrwürdigen Lübecker Lohmühle-Stadions im norddeutschen Nebel.